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Wie man Keime hinters Licht führt

Zwei junge Frauen haben schon mit 17 Jahren ein Produkt entwickelt, das Handläufe von Rolltreppen mit Licht desinfiziert. Nun sorgen sie auch für keimfreie Busse und Büros.

F.A.Z.

4.08.2022

Amelie Ansaloni

Katholische Schule Liebfrauen, Berlin

Licht  – dieses Geschenk der Natur machten sich zwei Kölner Schülerinnen zunutze und entwickelten schon  mit 17 Jahren als Pionierinnen das erste Modul für keimfreie Rolltreppen-Handläufe. „Die Handläufe von Rolltreppen sind eine der häufigsten Schmierinfektionsquellen im öffentlichen Raum“, sagt Tanja Zirnstein, Geschäftsführerin der Uvis UV-Innovative Solutions GmbH, die zehn Mitarbeiter beschäftigt. Zusammen mit ihrer ehemaligen Mitschülerin Katharina Obladen gründete sie Uvis  2016. Seitdem vertreiben sie  als Weltmarktführer ihr  Produkt Escalite  zur Desinfektion von Rolltreppen-Handläufen mithilfe von UVC-Strahlung international.

Die Idee  sei im 12. Schuljahr geboren worden. „Wir haben an dem Wirtschaftsprojekt Business at School teilgenommen, bei dem wir die Aufgabe hatten, ein Produkt zu entwickeln, das es so auf dem Markt noch nicht gibt“, erzählt  Zirnstein. „Da die Schweinegrippe gerade sehr präsent war und Fahrtreppen-Handläufe als eine der größten Infektionsquellen galten, haben wir direkt an Desinfektion gedacht.“   Nach intensiver Suche stießen sie  auf UVC-Strahlung.  „Dabei handelt es sich um kalte und nicht sichtbare Strahlung, die normalerweise vollständig von der Ozonschicht abgehalten wird“, erklärt Zirnstein. „Wir können sie jedoch künstlich mit Lampen erzeugen.“ Das Licht sei so kurzwellig, dass die DNA von Mikroorganismen wie Viren, Bakterien und  Pilzen in Sekundenschnelle zerstört werden könne, was den Keim  unschädlich mache.

Die längste Rolltreppe Deutschlands befindet sich  in der Elbphilharmonie in Hamburg. Diese nutzt auch die Hamburgerin Gila Schuh regelmäßig. „Als ich neulich erfahren habe, dass der Handlauf keimfrei sein soll, war ich erst mal total begeistert“, berichtet sie. Doch dass dies mithilfe von Licht geschehe, mache sie skeptisch. „Dieses Verhalten ist in der Bevölkerung nicht gerade selten“, erzählt Adrian Mahlkow, Wissenschaftler von Optotransmitter-Umweltschutz-Technologie e. V. in Berlin. Er mache Messungen für Uvis und baue Prototypen.  „Die Desinfektion mit Licht ist schon lange im Einsatz und funktioniert gut“, erklärt er. Laut  Zirnstein wird diese Methode  seit Jahrzehnten eingesetzt. „Joghurtgläser, Mehrwegflaschen und sogar Trinkwasser werden mit Licht gereinigt.“

 Auf der einen Seite sei die Desinfektion leicht regulierbar und ohne Verbrauchsmittel wie Chemikalien sowie automatisiert möglich, sagt Mahlkow.  Auf der anderen Seite benötige man  einen elektrischen Anschluss und wenig Publikumsverkehr. Etwa 200 Rolltreppen in Deutschland seien bisher  mit dem Modul ausgestattet. „Das Escalite-Modul ist einen halben Meter groß“, erklärt Zirnstein. Es beinhalte drei UVC-Lampen.  Der Handlauf werde im Verborgenen der Fahrtreppe von drei Seiten bestrahlt und komme 99,99 Prozent keimfrei wieder ans Tageslicht. Dass die Strahlung im Inneren gebündelt werde, sei sehr wichtig, da sie beim Menschen einen starken Sonnenbrand auslöse und auch die DNA in den Zellen beschädige. Wenn UVC-Strahlung in die Augen gelänge,  könnte  die Netzhaut beschädigt werden. „Der Stromverbrauch ist marginal“, sagt Zirnstein. Die Lebensdauer der Module sei unbegrenzt, nur die Lampen müssten nach etwa 12 000 Stunden Leuchtdauer gewechselt werden. 

Schon  2011 hatten die beiden Frauen ihre Erfindung patentieren lassen. „Finanziell wurden wir damals von unseren Eltern unterstützt“, erzählt die heute 30 Jahre alte Zirnstein.  Zudem hätten sie Preisgeld sowie Fördermittel des Landes NRW erhalten;  später sei ein Privatinvestor hinzugekommen. „Die Schulden bei unseren Eltern haben wir beglichen.“

Das Unternehmen bietet weitere Produkte an, zum Beispiel Titano. Dabei handelt es sich um eine Beschichtung, die auf Oberflächen aufgebracht wird und die Krankheitserreger angreift. In den vergangenen Jahren seien rund 6 Kilometer Geländer, 250 Busse und Bahnen und 5500 Türklinken mit Titano beschichtet worden.  

Auch mit den Produkten Uvis  Surface und Uvis Air gehe man mit Licht gegen Keime vor. Das akkubetriebene Modul Uvis Surface bietet laut Zirnstein eine gute Alternative zur Flüssigdesinfektion. Schon nach zwei Sekunden UVC-Bestrahlung sei die DNA der Keime zerstört.  Das Produkt sollte wie ein  Desinfektionsmittel angesehen werden.  „Wir verkaufen das Produkt nur an Unternehmen“, erklärt Zirnstein. „Um es sicher benutzen zu können, muss man sowohl eine Schutzausrüstung als auch ein UV-Visier und spezielle UV-Schutzhandschuhe tragen.“ Es können  Arbeitsplätze im Büro in Sekundenschnelle keimfrei gemacht werden.

Bei  Uvis Air  handelt  es sich um ein  UVC-Luftdesinfektionsgerät, das kleinere Gesprächsgruppen  schütze. „Die Luft wird angesogen, vom Licht desinfiziert und vom Gerät wieder ausgegeben“, erklärt  Obladen. „Der Luftstrom bildet eine Art Glocke um die Anwesenden und macht auch Gespräche ohne Atemschutzmaske wieder sicher.“ Das Gerät kostet rund 600 Euro. 

Nach dem Abitur studierten die beiden Geschäftsführerinnen. „Katharina hat BWL und Kunstgeschichte studiert, während ich mein Staatsexamen in Jura gemacht habe“, erzählt  Zirnstein. Danach starteten sie mit  ihrem Unternehmen durch. Als Frauen hätten sie es in der naturwissenschaftlich-technischen Branche nicht leicht, sagt  Zirnstein. „Manchmal komme ich mit einem unserer männlichen Mitarbeiter zu einem Einbau, und alle Fragen richten sich automatisch an ihn.“ Dabei habe sie  meistens mehr Ahnung.

  „Oft sind unsere Kunden nicht die tatsächlichen Endkunden, denn das Esca­lite-Modul wird nicht von uns, sondern meist von den Herstellern oder Wartungsfirmen, denen wir das Modul verkaufen, in die Fahrtreppen eingebaut“, erklärt Zirnstein.  Der Endpreis, der sich aus dem Modul und dem Einbau zusammensetze, liege im mittleren vierstelligen Bereich. „2021 lag unser Umsatz im hohen sechsstelligen Bereich.“

„Tödliche Unfälle auf Rolltreppen sind keine Seltenheit mehr“, sagt  Zirnstein. Besonders in London habe  man zu Beginn der Corona-Pandemie einen Anstieg festgestellt, weil die Menschen aus Angst vor Ansteckung das Festhalten verweigert hätten.  Zu erkennen, ob ein Handlauf desinfiziert ist, ist für das menschliche Auge jedoch unmöglich. Aus diesem Grund hat Uvis  ein großes Gütesiegel mit der Aufschrift „Sicher festhalten, keimfreie Handläufe“ entwickelt, das auf der Balustrade der Rolltreppen auf deren Desinfektion hinweist.

 

Zur Veröfffentlichung in der F.A.Z

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