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Wer leicht fällt, dem fällt das nicht leicht

Ob im Gebirge, im Park oder in der Sporthalle: Immer öfter sieht man Menschen auf Slacklines balancieren. Diese sollen zudem bei Rückenschmerzen, Schlaganfällen und Kreuzbandriss helfen, wirbt der deutsche Weltmarktführer ID-Sports.

F.A.Z.

7.02.2019

Samuel Sickinger

Max-Planck-Gymnasium Lahr, Lahr

Kaum sichtbar spannt sich ein Seil über einen See, eine Schlucht oder zwischen zwei Hochhäusern. Darauf balanciert eine Frau oder ein Mann mit konzentriertem Blick und perfekter Körperbeherrschung. Dazu braucht es Selbstvertrauen, Vertrauen in das Material und eine beneidenswerte Balance von Körper und Geist. Diese Balance ist die Philosophie der ID-Sports GmbH aus Stuttgart, die nach eigenen Angaben den Weltmarkt für Slacklines anführt.

Die Slacklines von ID-Sports tragen den Namen Gibbon, eine Menschenaffenart. „Die Gibbons gehören zu den besten Kletterern. Sie sind frech und agil, leben aber in einem sozialen Familienverbund und sind zeitlebens monogam“, erklärt Robert Käding, der Gründer und Chef des Unternehmens. Man habe auch einen Namen gesucht, der international ausgesprochen werden könne, denn man wolle den Weltmarkt erobern.

Slacklines gibt es schon seit etwa fünfzig Jahren. Angefangen hatte es damit, dass sich Kletterer im kalifornischen Yosemite-Nationalpark die Zeit vertrieben, indem sie das Kunststoffband nicht nur zur Sicherung beim Klettern, sondern zum Balancieren zwischen zwei Befestigungspunkten nutzten. Doch als Käding 2006 zum ersten Mal selbst auf einer Slackline stand, war Slacklinen immer noch als neuer Trend nur in der Szene bekannt. „Es hat mich total angefixt, die Beherrschung über die Slackline zu gewinnen“, erzählt er. Zuerst spannte er die Slackline in niedriger Höhe von maximal einem Meter und hüpfte zu Musik. „Da kommt man richtig in einen Rhythmus hinein.“ Schnell ist er überzeugt: Da lässt sich mehr draus machen.

Seine erste Aktion – noch vor der Gründung 2007 – war eine Highline-Show auf einer Outdoormesse. Zwischen zwei Gebäuden lief ein Sportler auf der Highline in luftiger Höhe. Das weckte Aufmerksamkeit und Bewunderung. Anschließend konnte es jeder in ungefährlicher Höhe von 70 Zentimetern selbst probieren. Es ging darum, eine Aktivität, die aus dem Extrembereich kommt, für jeden zugänglich zu machen.

Mit der Zeit haben sich aus dem Slacklinen der Kletterer verschiedene Arten herausgebildet. Da gibt es das Longlinen, bei dem man versucht, immer längere

„Lines“ zu laufen; der Rekord liegt bei mehr als einem Kilometer. Beim Highlinen wird versucht, die Slackline möglichst hoch zu spannen. In den französischen Alpen wurde eine Highline in 3000 Metern Höhe gespannt und gelaufen. Tricklinen ist für Beobachter besonders beeindruckend. Es wird auf einer Slackline auf und ab gesprungen, wobei bis zu vierfache Saltos, Schrauben und andere spektakuläre Tricks vollführt werden. In dieser Sportart ist ID-Sports mit Gibbon besonders aktiv. Man hat ein Tricklineteam, das auf vielen Veranstaltungen auftritt, zum Beispiel beim Superbowl-Finale 2012 gemeinsam mit Madonna. ID-Sports veranstaltet außerdem die Trickline-WM in München.

Das eigene Image wird sorgfältig gepflegt. Dazu setzt ID-Sports Markenbotschafter ein, zum Teil professionelle Slackliner. Einer ist Moritz Hamberger. Für ihn spielen das Image von Gibbon und die „Community“ eine große Rolle. „Von anderen Athleten der Community nimmt man immer viel mit, zum Beispiel Tipps zum Slacklinen.“ Wichtig sei auch das Finden von „Slack-Spots“, Plätzen, wo man eine Slackline spannen kann. Begabte jugendliche Slackliner unterstütze ID-Sports zudem durch ein Talentförderungsprogramm.

Man will das Slacklinen populärer machen. „Gibbon ist in mehr als 35 Ländern vertreten. Wir haben mittlerweile über eine Million Slacklines auf den Markt gebracht und sind in gut 25 Ländern als Marke registriert“, berichtet Käding. Die meisten Slacklines, die laut Käding alle in China produziert werden, verkauft ID-Sports im deutschsprachigen Raum. Seit seiner Gründung hat das Unternehmen, das zurzeit 15 Mitarbeiter beschäftigt, nach eigenen Angaben 40 bis 50 Prozent des Slackline-Markts erobert; man sei globaler Marktführer. Verkauft wurden die Lines von Anfang an im Handel, seit einiger Zeit gehe man zusätzlich auf die Schulsport-Gerätehersteller zu, berichtet Käding. Außerdem wachse der Online-Anteil stark. Die Slacklines kosten zwischen 60 und 420 Euro. Jährlich verkaufe man 100000 Stück.

„Wir glauben ganz fest, dass Balance sehr wichtig ist für Körper, Geist und Seele“, wirbt Käding für das Slacklinen. Jede Bewegung des Menschen, auch das bloße Sitzen oder Stehen, unterliegt den Gesetzen der Schwerkraft und erfordert Balance. Zudem ist Bewegung wichtig, für gesunde Menschen als Ausgleich sowie zur Heilung von orthopädischen Schwächen. Caroline Käding ist ausgebildete Therapeutin und bietet Gibbon-Slackline-Therapien an. Sie ist Geschäftsführerin von Slackfit, einem Tochterunternehmen von ID-Sports, und Kädings Ehefrau.

„Als frischgebackene Physiotherapeutin waren für mich die Möglichkeiten der Slackline gleich offensichtlich“, erzählt sie. „Je nach Therapieziel können Kraft und Ausdauer trainiert werden oder Wahrnehmung und Motivation.“ Ein Therapeut müsse immer die Balance von Körper und Geist für die Genesung im Blick haben. „Wir behandeln Rückenschmerzen und Haltungsschwäche sowie Kreuzbandriss und Schlaganfall.“ Als Beispiel nennt Käding das „selbstinduzierte Vibrationstraining“. Man bringt die Slackline durch Muskelanspannung und Zentrierung selbst zum Vibrieren. Das erhöht die Effektivität der Übungen. Es seien keine Vorkenntnisse im Slacklinen erforderlich.

Robert Käding ergänzt: „Der Umgang mit der Slackline erfordert Balance und Koordination, sowohl für 70-Jährige zur Sturzprävention als auch zur sportlichen Entwicklung von sechs Jahre alten Kindern direkt auf der Line.“ Mit einer Slackline könne man so viel machen wie sonst nur mit einem Ball oder einem Rad. „Unser Ziel ist es, Slacklinen in alle Schulen und jede Turnhalle zu bringen.“

Auf die Zusammenarbeit mit den Schulen setzt auch der Wettbewerber Slacktivity, ein Unternehmen, das sich stark in der Schweiz engagiert. Slacktivity gilt in der Slackliner-Szene als ein vor allem im Bereich High- und Longlining innovativer Hersteller. Nach der Internetseite Slackline Deutschland dürfte auch Elephant zu den führenden Herstellern zählen. Vor allem in den Vereinigten Staaten ist außerdem Slackline Industries stark vertreten.

Robert Käding gibt sich bei der Frage nach Konkurrenz gelassen und nennt Zahlen. ID-Sports verkaufe zur Hälfte in Deutschland, Österreich und der Schweiz, 15 Prozent in weitere europäische Länder, 20 Prozent in die Vereinigten Staaten, 10 Prozent nach Japan und Asien. Vertriebswege seien zu 55 Prozent das Internet, zu 25 Prozent der stationäre Großhandel und zu 20 Prozent der Versandhandel. Der Umsatz teile sich zu 65 Prozent auf Outdoor und Freizeit, zu 15 Prozent auf Tricklining und Freestylelining und zu 20 Prozent auf Schulsport, Fitness und Therapie auf. Man verkaufe alle Sets als TÜV-geprüfte Systeme. Das verwendete Polyester werde in einem qualitätsgesicherten Needle-Loom-Verfahren zur Slackline verarbeitet, die Bruchlast sei auf zwei bis vier Tonnen ausgelegt.

Manchen Slacklinern ist ID-Sports schon zu dominant geworden. Diesen Eindruck gewinnt man in Gesprächen auf Festivals. Und manche wünschen sich eine längere Haltbarkeit der Tricklines, die besonders starken Belastungen ausgesetzt sind. Andere fordern mit Blick auf den Schutz der Bäume Verbesserungen. Denn eines können Slackliner nicht gebrauchen: Nutzungsverbote in Parks, zu denen es kommt, wenn die Bäume beim Anbringen der Slacklines nicht entsprechend geschützt und deshalb beschädigt werden. Kritisiert wird vor allem die zu geringe Anleitung in den Einsteigersets, was den unerfahrenen Slackliner verleiten könne, den Schutz der Baumrinde nicht so genau zu nehmen. Slackliner sind Individualisten und meist umweltbewusst: Sie brauchen die Akzeptanz ihres Sports, den sie in der freien Natur ausüben.

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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