Dass es so etwas wie minimalinvasive Herzklappen einmal geben würde, hätte ich vor 20 Jahren nie für möglich gehalten. Damals hatte ich die Gelegenheit, bei vielen Herzklappenoperationen dabei zu sein, die sich mehrere Stunden hinzogen. Heutzutage geht das zack, zack, und dem Patienten wird nicht der ganze Brustkorb aufgetrennt.“ Das sagt Sebastian Büchert, Geschäftsführer der Bentley Innomed GmbH, eines von vielen Medizintechnikunternehmen in Hechingen, das südwestlich von Stuttgart liegt und knapp 20 000 Einwohner hat.
Mittlerweile dauerten solche Eingriffe eine halbe Stunde, berichtet Büchert. Man fährt mit dem Katheter in einem kleinen Röhrchen bis ins Herz, bringt eine zusammengefaltete Herzklappe an die gewünschte Stelle und sprengt sie dann auseinander. Nun könnten auch Menschen im Alter von 90 Jahren ohne schwere Folgen operiert werden. Ein Restrisiko könne man freilich nicht ausschließen, weil es beispielsweise zu einem Schlaganfall kommen könne.
Eine solche Operation könne ganz einfach erledigt werden, während das Herz noch schlägt, und der Patient spüre keine Schmerzen, ergänzt Heiko Zimmermann, Geschäftsführer von Medical Valley Hechingen e.V. Dieser Verein entstand 2009. Rund 50 Medizintechnik-Unternehmen sind Mitglieder; sie beschäftigen insgesamt etwa 5000 Mitarbeiter.
„Es gibt hier keine zwei Unternehmen, die das gleiche Produkt herstellen. Einzigartig bei uns ist die Konzentration auf die minimalinvasive Behandlung von Herz- und Gefäßerkrankungen“, berichtet Zimmermann. Vertreten sind unter anderem Stents, Dialysetechniken, Herzklappen und Drainagen über Magnetfeldtherapie. Seit Kurzem sind auch Unternehmen Mitglied, die für die Ohrenheilkunde zuständig sind.
Vor allem Bentley beschäftigt sich mit der Entwicklung von minimalinvasiven „Stentcrafts“, einem Metallgeflecht zur Behebung von Gefäßleiden. Sie produzieren nach eigenen Angaben etwa 40 000 Stents im Jahr, die in 80 Ländern verkauft werden. Damit erzielt man laut Büchert einen Jahresumsatz von 42 Millionen Euro. In Hechingen haben sich noch mehr Medizintechnik-Hersteller angesiedelt, etwa Jotec, ein Produzent von Gefäßimplantaten für die Aorta mit rund 500 Mitarbeitern, und Gambro Dialysatoren, eine Niederlassung des amerikanischen Konzerns Baxter.
Früher war Hechingen, wie Zimmermann erzählt, eine Textilhochburg. Doch die Branche ging ins Ausland, man suchte nach einem neuen Feld. Im Jahr 2003 gründete die Stadt ein Kompetenznetzwerk, um den medizinischen Schwerpunkt in Hechingen bekannt zu machen. Schon damals gab es Medizintechnikunternehmen in Hechingen, eines der ersten war Gambro. Lars Sunnanväder trug zu der Vermehrung der Medizintechnik-Unternehmen viel bei. Er war technischer Leiter von Gambro, bevor er sich selbständig machte. Das führte zur Gründung von mehr als 15 Unternehmen, etwa Joline, Jotec, Translumina, NVT und Bentley.
Zu den Aufgaben von Medical Valley gehören der Austausch und die Vermittlung von Wissen, man veranstaltet Seminare und Praktikumsbörsen. Auch Medira ist Mitglied. Thomas Bogenschütz hat das Start-up 2020 gegründet. Der Hechinger war zuvor Geschäftsführer von Jotec und NVT. Als das amerikanische Unternehmen Cryolife 2017 für 225 Millionen Dollar Jotec übernahm, war Bogenschütz Senior Vice President. „Es war das Gefühl, etwas Gutes für andere zu tun, das mich zur Medizintechnik brachte“, erzählt er. „Zum anderen war es auch die Faszination zu sehen, was mit moderner Medizin alles möglich ist.“
Medira entwickelt Herzklappen. Der Preis einer Klappe liegt bei 30 000 Euro. Normalerweise werden zur Herstellung synthetische Materialien wie Polyester, Teflon und eine Metalllegierung verwendet. Medira und auch NVT stellen ihre Produkte aus Biomaterialien her. „Hier werden Rinder- oder Schweineherzbeutel verwendet, die man als Rohmaterial aus der Fleischindustrie bekommt“, erklärt Bogenschütz.
Auf die Frage, in welche Richtung sich die Medizintechnik in den nächsten 20 Jahren entwickeln wird, sind sich Büchert und Bogenschütz einig. Es werde eine starke Bewegung hin zu minimalinvasiven Technologien geben – damit sich die Patienten schnell wieder erholen und unerwünschte Nebeneffekte verhindert werden.