Rund 250.000 Kinder in Deutschland brauchen nach Angaben des 2018 in Hamburg gegründeten Unternehmens Einzignaht individuelle Kleidung, da sie körperliche Besonderheiten wie Ports, Sonden oder Stomata haben. Laura, die Tochter der Gründer Sandra und Christian Brunner, hat das Williams-Beuren-Syndrom, einen nichtvererbten unheilbaren Gendefekt, wodurch sie sich oft übergibt. Außerdem ist sie etwas kleiner und hat besondere Proportionen. Sandra Brunner nähte Oberteile für sie.
„Von Freunden und sogar Fremden wurden wir immer wieder auf Lauras Kleidung angesprochen und ob wir so etwas auch für andere Kinder machen würden“, erinnert sich Christian Brunner. So entstand die Idee für ein Modelabel. „Sandra ist gelernte Energiefachwirtin, hat aber im Textilbereich ihre Ausbildung gemacht“, sagt ihr Mann, der jahrelang im Marketing tätig war und eine Promotion über Markenarchitekturen und Werbung geschrieben hat. Sandra arbeitet nun Vollzeit im Unternehmen. Bisher haben die Brunners keine Konkurrenz.
Zu Beginn tauchten Schwierigkeiten auf: Weil Laura keine Sonde hat, mussten die Maße an andere Kinder angepasst werden. Ein Problem ergab sich bei der Stoffauswahl, da viele Kinder mit Krankheiten eine sehr empfindliche Haut haben. Man entschied sich für „Wolle/Seide“. Der Stoff des Unternehmens Danisch Pur ist weich und pflegeleicht, Flüssigkeiten perlen ab, und er reinigt sich durch natürliches Laminin fast von selbst.
Den beiden steht eine Physiotherapeutin zur Seite, die darauf achtet, dass die Kleidung genug Freiraum für die Bewegung und Entwicklung der Kinder bietet. Die Kleidung sorgt für Sicherheit, weil Schläuche in ihr versteckt werden und so andere Kinder nicht daran ziehen können. Das Erstellen der Schnittmuster braucht die meiste Zeit. Das Nähen dauert dann nur noch eine halbe bis Dreiviertelstunde. Die Brunners werfen wenig weg; die Reste, die bei einem T-Shirt übrig bleiben, verwenden sie in kleineren Kleidungsstücken, zum Beispiel in Halstüchern und Sondenpads.
Hatten sie Angst vor dem Gründen eines Unternehmens und den eventuell damit verbundenen finanziellen Problemen? „Wir hatten ehrlich gesagt gar keine Zeit zum Überlegen. Wir haben einfach gemacht, weil wir mussten“, sagt Sandra Brunner. Nach eigenen Angaben haben sie 2019 etwa 300 Produkte verkauft, von Bodys über T-Shirts, Pullis und Kleider bis hin zu Halstüchern für Tracheostoma. Tracheostoma ist ein Zugang zur Luftröhre. Die Preise reichen von 15 bis 75 Euro. Das meistverkaufte Produkt sind Sondenbodys für 60 bis 70 Euro. Nicht alle Eltern können sich die Kleidung leisten. Deshalb gibt es Nähpatenschaften, mit denen man einem fremden Kind einen Body oder ein T-Shirt ermöglichen kann. Nach Unternehmensangaben wird jedes fünfte Produkt so finanziert.
An ein Mädchen erinnern sich die Brunners besonders. Sie hatte Epidermolysis bullosa, eine genetisch bedingte Hautkrankheit. Die Haut ist sehr viel empfindlicher als die eines Schmetterlings; dadurch entstehen fast täglich neue Wunden, Blasen und Narben. Durch den Wolle-Seide-Stoff und die versteckten, nicht scheuernden Nähte erleichterte man den Alltag dieses Kindes und seiner Eltern. Das Ziel der Gründer ist, „dass unsere Kleidung im Hilfsmittelkatalog der gesetzlichen Krankenkassen gelistet wird“.