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Stille Pracht

Die Stimme einer großen Persönlichkeit einfangen oder eines geliebten Menschen, auch über den Tod hinaus, und in einen Edelstein verwandeln – das ermöglicht das spektakuläre Kunstprojekt Voice Gems.

F.A.Z.

5.05.2023

Leon Rakuta

Käthe-Kollwitz-Gymnasium, Neustadt a.d. Weinstraße

Harry Yeff aus England und Trung Bao Nguyen aus Vietnam, zwei international bekannte Künstler,  experimentieren mit der  menschlichen Stimme und testen ihre Grenzen aus. Bekannt sind die beiden aus der Beatbox-Szene. Seit 2012 widmen sie sich  mit ihrem Team der digitalen Visualisierung der Stimme und haben das Unternehmen Voice Gems gegründet,  um   Stimmen von Persönlichkeiten der Gegenwart in digitale und  physische Edelsteine umzuwandeln. Teilgenommen haben  bekannte Persönlichkeiten  wie die Verhaltensforscherin Jane Goodall, der Künstler Ai Weiwei und der frühere Fußballspieler  Geoff Hurst.  Insgesamt kommen die Teilnehmer aus einem  breiten Spektrum an Professionen.  Auch manche Privatkunden haben  auf Anfrage einen Voice Gem erhalten, zum Beispiel aus der Stimme eines Angehörigen.

Der Gedanke, dass die Stimme einen unschätzbaren Wert hat, aber   in unserer Gesellschaft nur eine flüchtige  Rolle spielt, inspirierte das Unternehmen dazu, sie in Edelsteine mit   symbolischer und historischer Relevanz zu verwandeln. Die Auswertung einer einminütigen Stimmenaufnahme dauert laut Yeff zwei Tage und ist mit großem Aufwand verbunden.

 Das Ziel der Künstler ist es, eine  Galerie der Stimmen zu kreieren, die dank des technischen Fortschritts über Jahrtausende ein Vermächtnis sein soll. Ein Interview mit dem Mitgründer Harry Yeff gibt interessante Einblicke, was hinter der Idee steckt. „Voice Gems hat besonders die bemerkenswertesten, einzigartigsten und verletzlichsten Stimmen der Welt im Fokus“, erklärt Yeff. Rund 200.000 Partikel würden für einen Voice Gem geformt und gefärbt, basierend auf den Daten, die man in der Stimme finde, zum Beispiel der Stimmresonanz. 

„Eine langsame und ruhige Stimme wird  zu einer traditionelleren Edelsteinstruktur, eine erregbarere  Stimme wird die Partikel auseinanderziehen, es entsteht eine  dynamischere Form“, erklärt Yeff. Edelsteine für Kinder seien in der Regel heller. Und tiefere Resonanzen führten zu bläulichem Schwarz und tiefen Purpurtönen.  Da jede Stimme einzigartig ist, ergibt  auch jede einen eigenen Edelstein. Ein   Audio  resultiert immer im selben Edelstein, auch wenn man es mehrmals auswertet.

 2018 erhielten sie ihre erste Anfrage: einen Verlobungsring zu kreieren und eine physische Variante zu erarbeiten. Der  Voice Gem, der den  Edelstein im Ring ersetzte, war das Produkt aus dem gemeinsamen Lachen zwischen zwei Liebenden. „Seitdem erhielten wir Hunderte Nachrichten von Menschen, die geliebte Menschen verloren haben und an neuen Formen eines   Vermächtnisses über Kunstwerke  interessiert sind“, erzählt   Yeff.  „Wir erhielten Gespräche mit Müttern, Brüdern, Schwestern, Großeltern, die verstorben sind, und erschufen aus diesen  Daten diese Kunstwerke, die aufbewahrt werden können.“

Sobald die Stimme in einem Computerprogramm zu einer Struktur verarbeitet worden ist,  kann man diese in   einem  3-D-Drucker ausdrucken, in  Edelmetallen wie  Gold, Silber oder  Platin und  in erneuerbaren Materialien.  In Kooperation mit einem Labor im englischen  Newcastle hat man zudem ein neues Verfahren entwickelt: Der 3-D-Drucker stellt aus der   Stimme ein Gewebe her. Dieses platziert man in einem Tank; auf ihm wachsen unter Verwendung von Aluminiummineralen kristalline Formen he­ran.

Bis Ende Januar  sind  laut Yeff 120 Voice Gems entstanden, bis Ende 2024 sollen es 500 sein.    Im vergangenen Jahr  setzte man gut  200.000 Dollar durch die Veröffentlichung von 50  Voice Gems um. Dabei handelte es sich zum größten Teil um Direktverkäufe an Kunden in verschiedenen  Währungsformen.

Ausgewählte Privatkunden zahlten 5000 Dollar für eine hochauflösende Digitalvariante und die dazugehörige physische Skulptur, berichtet Yeff. Die Chance, einen Voice Gem zu erhalten, ist nicht sehr groß, weil nur ausgewählte Personen an dem Projekt teilnehmen können.  Wer einen erhält, sei davon „zutiefst fasziniert“, sagt Yeff. Auf Grundlage der Geschichten, die potentielle Kunden schickten, suche man  sehr sorgfältig aus, wer Zugang zum Voice-Gem-System bekomme, erzählt der Künstler. Schließlich könnten digitale Objekte in unendlichen Mengen  produziert werden. „Das  würde aber verhindern, dass sie als kostbar empfunden würden.“

Im Herbst 2022 fand eine großflächige Ausstellung in der Londoner Oxford Street auf W1 Curates statt, einer öffentlichen Kunstplattform. 7000  Personen hätten sich die Voice Gems im Ausstellungsgebäude angesehen. Und rund 10 Millionen Menschen seien an den  auf zwei Etagen durch Fensterprojektionen ausgestellten Kunstwerken vorbeigegangen, berichtet Yeff. Die Voice Gems sind zudem  in millionenfach geklickten TED-Talks auf Youtube zu sehen. Über sie haben Zeitschriften wie  „Fast Company“ berichtet und auch die internationale Künstleragentur Sozo Artists auf ihrer Internetseite.  Besichtigen konnte man sie in Museen wie  dem Francisco Carolinum in Linz und in der König Galerie  in Berlin.

Die Voice Gems  werden auch  digital mithilfe der   Blockchain als NFT-Kunstwerke vermarktet.   Die  digitale Edelsteinversion einer  Stimme kann  man über  Online-Märkte  an Kunstsammler weiterverkaufen. Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben im Jahr 2021 allein durch digitale Voice Gems und die Blockchain  einen Umsatz von mehr als  100.000 Dollar erwirtschaftet.

Die Blockchain-Technologie sei  ein aufregender neuer Weg, Kunstwerke zu be­wahren, sagt Yeff.  Und sie  stelle sicher, dass  Künstler ihre  Lizenzgebühren er­hielten. Doch trotz der Möglichkeiten, die   digitale Märkte  böten, sei wichtig, die Voice Gems nicht  einfach als digitale Ware zu definieren.  Auf den  digitalen Markt sollte man sich nicht verlassen, und er sollte nicht vor der eigentlichen Kunst kommen. „Die Qualität, die Philosophie und das Denken sollten immer an erster Stelle stehen“, sagt Yeff.

 

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