Als mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft 1946 zurückkehrte, musste er seinem sechsjährigen Jungen erst mal Schach beibringen“, berichtet der 81 Jahre alte Peter Thierfelder, der seit mehr als 70 Jahren für den SK Freinsheim Schach spielt und sein Wissen an viele weitergegeben hat. Die Faszination für Schach teilt Christoph Kamp, der Inhaber von Schach Niggemann. Er sei als Jugendlicher mit dem „Schachvirus“ infiziert worden, sagt er. Schach Niggemann ist nach Kamps Angaben der größte Schachhändler in Europa. Man gehöre mit einem siebenstelligen Umsatz zur Weltspitze in dieser Branche.
Schach Niggemann wurde 1985 in Köln von Erika und Günter Niggemann gegründet. Über die Jahre vergrößerte sich das Sortiment, der Standort wechselte. Christoph und Silvia Kamp übernahmen 2018 das Geschäft und verlegten es 2019 nach Münster, wo für das wachsende Onlinegeschäft Platz für Lager, Versand und Verkauf geschaffen werden konnte. In Münster öffnet sich dem Schachfreund ein Paradies: nicht auf 64 Feldern, sondern auf mehr als 100 Regalmetern. Man findet Schachwegweiser für Veranstaltungen für 2 Euro genauso wie ein handgefertigtes Schachbrett mit eingebautem, bluetoothfähigem Schachcomputer für 3690 Euro. Solch ein E-Board liege trotz des hohen Preises gerade im Trend, berichtet Kamp. Dank der Bluetooth-Funktion könne man digital mit anderen spielen, man habe aber dennoch ein echtes Brett vor sich. Der Preis ist hoch, aber nichts gegen den Wert des teuersten Schachbretts der Welt, des „Jewel Royale Schachspiels“; es kostet knapp 1,25 Millionen Euro.
Insgesamt bietet Schach Niggemann rund 6000 Artikel an und hat 35 000 Bücher auf Lager. Wer meint, in Zeiten des Internets brauche es keine Bücher aus Papier mehr, irrt. Kamp beobachtet eher eine umgekehrte Entwicklung: Es gebe immer mehr sehr gute Fachliteratur mit Inhalten, die nicht einfach im Internet zu finden seien.
In Deutschland gibt es 2330 Vereine mit fast 90 000 Mitgliedern. Bretter und Figuren aus Plastik seien die beliebtesten Produkte, von denen Schach Niggemann Abertausende verkaufe, besonders an Schulen und Vereine, berichtet Kamp. Aufgrund der stark gestiegenen Holzpreise kostet ein Standard-Figurensatz aus Holz nicht mehr 30, sondern 50 Euro. Es sei „inzwischen schwierig, noch an große Mengen Holzprodukte zu kommen“, sagt Kamp, dessen Favorit fürs Schachbrett Palisanderholz ist. Laut Inhaber hat man 75 000 Kunden; sie seien zwischen 5 und 95 Jahre alt und fast alle männlich.
Man lege viel Wert auf die Schachkompetenz der sieben festangestellten Mitarbeiter, sagt der Inhaber. Sie müssten mindestens Turnierspieler sein. Ein Mitarbeiter trägt sogar den Titel „FIDE-Meister“, den dritthöchsten Titel, den man auf der ganzen Welt im Schach erspielen kann. Die schachmännische Beratung hebt das Unternehmen von bekannten Onlinehändlern ab. „Taimanow-Sizilianisch (eine Variante einer Schacheröffnung) soll man erst mal in Amazon eingeben!“, sagt Kamp.
Der Laden in Münster erziele zwar nur 1 bis 2 Prozent des Umsatzes, sagt Kamp, er sei aber als Ausstellungsraum wichtig. So reise mancher vor einer größeren Investition mehrere Hundert Kilometer an, um sich vor Ort ein Bild zu machen.
Im vergangenen Jahr haben die Netflix-Serie „Das Damengambit“ und die Pandemie einen Schachboom ausgelöst. Schach war plötzlich nicht mehr nur ein Spiel für Rentner oder Nerds, viele wollten ein schickes Schachbrett und eine längst veraltete hölzerne mechanische Schachuhr haben. Die Nachfrage nach diesen Uhren sei aber wieder zurückgegangen und digitale Uhren seien wieder die Spitzenreiter, teilt Kamp mit.
Der große Hype ist abgeflaut, jedoch hat sich das Geschäft auf einem Niveau gehalten, das die Vor-Netflix-Ära übertrifft. Der Umsatz sei in den vergangenen eineinhalb Jahren um 15 bis 20 Prozent gestiegen. Das Weihnachtsgeschäft 2021 sei auch durch die Schach-WM in Dubai trotz eines eher weniger spannenden Verlaufs ordentlich belebt worden. Einem der Hauptkunden des Händlers, dem Deutschen Schachbund, den eine Partnerschaft mit Schach Niggemann verbindet, hat die Ansehenssteigerung dagegen nicht geholfen. Die Mitglieder- und Vereinszahlen sind leicht gesunken.
Die Zahl der Vereine ist von rund 3000 im Jahr 2000 auf 2330 im Jahr 2021 zurückgegangen. Auch Christoph Kamps Verein, der SK Münster 32, muss sparen, er kauft beispielsweise nur noch Spielausstattungen aus Plastik. Es mangelt vielen Vereinen zudem an Nachwuchs. Gab es 2020 noch 26 742 jugendliche Mitglieder, sank die Zahl auf nur noch 24 499 im Jahr 2021.
Ist die Pandemie für Schach Niggemann eher verkaufsfördernd, so zeigt sich für das Vereinswesen ein Nachteil: Durch die zeitweise Aussetzung der Treffen im Schachverein und die nicht stattgefundenen Schach-AGs in den Schulen konnten nicht so viele Neumitglieder an das Schachspiel herangeführt werden. DSB-Präsident Ullrich Krause sagt aber: „Das Online-Schach hat einen großen Zuwachs verzeichnet, und die Vereine, die sich in diesem Bereich aktiv engagiert haben, haben auch Mitgliederzuwächse zu verzeichnen.“