Frauen mit Angorastrümpfen, Pudelrock, Schürze, Hemd, Spiegele – und Bollenhut. Die traditionsreiche Kopfbedeckung ist ein Markenzeichen für den Schwarzwald und weltbekannt. „Gutach war Anfang des 20. Jahrhunderts ein Malerdorf. Wilhelm Hasemann und Curt Liebich haben viele Bilder sowie Künstlerpostkarten mit dem Bollenhutmotiv angefertigt“, erzählt Gabriele Aberle, Hutmacherin aus Gutach. Jean-Philippe Naudet, der Vorsitzende des Kunstvereins Hasemann-Liebich in Gutach, erklärt: „Wilhelm Hasemann und Curt Liebich waren die beiden Stellvertreter der Gutacher Malerkolonie vor Ort. Diese Malerkolonie kann man sich als einen losen Verbund von Künstlern vorstellen, die nach Gutach für Malvisiten kamen. Von 1880 bis 1913 kamen nachweislich 178 Künstler nach Gutach. Sie zeichneten und malten und nahmen Eindrücke und Kunstwerke in ihre Heimat mit. Und sie erzählten dort, wie es im Schwarzwald aussieht.“ Mit der Operette „Das Schwarzwaldmädel“ gewann der Bollenhut dann weiter an Popularität.
„Den Hut gibt es ungefähr seit 1800, da war es allerdings noch ein gekalkter Strohhut mit Wollrosen so klein wie Pflaumen“, berichtet Waltraud Kech, Hutmacherin der Kirnbacher Kurrende. „Die Wollbommel haben sich aufgrund der Mode mit der Zeit vergrößert, und der nun vergipste Bollenhut hat sich erst seit 1930 nicht mehr verändert.“ Der Verein der Kirnbacher Kurrende, der die Tradition lebendig hält, wurde 1965 von Eric Turnwald gegründet und hat 46 Mitglieder. 27 sind in der Erwachsenengruppe und 19 in der Kindergruppe der Drei- bis 14-Jährigen. Ab 15 Jahre legt man seine Haube zur Konfirmation ab und trägt erstmals einen roten Bollenhut. In regelmäßigen Treffen übt man Tanzschritte, die auf Veranstaltungen aufgeführt werden. Besucht hat die Gruppe den Sender SWR 3 und Länder wie Brasilien und Griechenland, um ihre Tradition vorzuführen.
Lediglich Waltraud Kech aus Kirnbach und Gabriele Aberle aus Gutach beherrschen noch das Bollenhut-Handwerk. Nur Kech verkauft die Hüte. „Frau Aberle ist eine Trachtenhandwerkerin, die zu regelmäßigen Terminen das Schneiderhandwerk bei uns im Freilichtmuseum zeigt“, sagt Tamara Schwenk vom Freilichtmuseum Vogtbauernhof. Es besteht die Gefahr, dass das Handwerk ausstirbt. Aberle ist jedoch zuversichtlich: „Wir werden unser Können bestimmt weitergeben.“
Kech übernahm 1981 das Nähen von Christina Lehmann. Sie kam mit zwanzig Jahren zu Lehmann, um ihr einen Auftrag für ein neues Goller zu geben, ein besticktes Halstuch. Überraschenderweise lehnte Lehmann den Auftrag strikt ab. „Ich erschrak und dachte, was habe ich angestellt“, erzählt Kech. „Nach einer kurzen Pause lächelte Frau Lehmann aber und meinte: ,Du nähst dir das selbst, ich helfe dir dabei!‘ So kam es, dass ich mein Goller selbst genäht habe und auch das Bollenhut-Handwerk von Frau Lehmann gelernt habe.“ Die alte Dame habe dann Leute zu ihr geschickt. „Das Nähen von Rock und Schürze wurde anschließend von Hermann Wöhrle übernommen. Er war der ehemalige Trachtenschneider, ist jedoch schon verstorben.“
Heute stellt Kech die gesamte Tracht der Frauen und Männer her, mit Ausnahme der Angorastrümpfe, die Helene Sum anfertigt. Ein Hut kostet 360 Euro und wird nur für Frauen genäht, die in den Gemeinden Gutach, Kirnbach oder Reichenbach leben. Fünf bis sechs Hüte produziert Kech im Jahr und erzielt so einen Umsatz von 1800 bis 2160 Euro. Außerdem nähe sie noch für die Trachten der Musikkapelle in Fischerbach. Kech erklärt die Produktion. „Mit Hilfe eines Gipsabdrucks vom Kopf wird ein Strohhut genäht. Dann wird der Hut auf eine Holzform gespannt und vergipst, geschliffen und wieder gegipst, bis alles glatt und fest ist. Beim nächsten Schritt wird die Unteransicht ein weiteres Mal vergipst und der Kopfabdruck entfernt. Der Rand wird nun weiß gestrichen mit einem schwarzen Strich an der Kante. Als Letztes kommen die Wollrosen.“ Vierzehn Stück in sechs verschiedenen Größen werden in Kreuzform aufgenäht und nachgeschnitten. Elf sind sichtbar, und drei verstecken sich darunter. „Die Anzahl der Bollen hat keine Bedeutung. Es sieht einfach so gut aus“, sagt Christian Weinzierle, Vorstand der Kirnbacher Kurrende, lachend. An dem Zopf der Frau unter dem Bollenhut befindet sich ein Spiegel, der Spiegele genannt wird. „Die Geister, die von hinten kommen, sehen sich somit selbst im Spiegel und haben Angst vor dem schrecklichen Anblick und gehen weg“, sagt Weinzierle.
Die Mehrheit der Mädchen bekommt einen individuell angefertigten Hut, da die theoretisch vererbbaren Hüte wegen unterschiedlicher Kopfumfänge nicht passen. Vierzig Stunden werden damit verbracht, einen dieser 2 Kilogramm schweren Hüte herzustellen. Zur Konfirmation kleiden sich die Mädchen zum ersten Mal mit dem roten Bollenhut, verheiratete Frauen tragen den schwarzen Bollenhut.
„Die Tracht mit dem Bollenhut wird Kirchen- oder Festtagstracht genannt. Es gibt noch die Trauertracht und eine Arbeitstracht“, erklärt Weinzierle. Getragen wird der Bollenhut in den drei Gemeinden zu den kirchlichen Festtagen wie Erntedank und Konfirmation. Laut Weinzierle waren es evangelische Gemeinden, die die Tradition ins Leben riefen.
Die Trachtentradition wurde Anfang des 19. Jahrhunderts vor allem nach den Napoleonischen Kriegen wiederbelebt. Um das Heimatgefühl und die Zugehörigkeit zu stärken, haben die württembergischen Landesfürsten ihren Untertanen angeordnet, die Tracht aufleben zu lassen. Um aus der wirtschaftlichen Kleinkrise herauszukommen, ordnete Herzog Friedrich Eugen in seinem Brief vom 7. Januar 1797 an, mit der Hutmacherei zu beginnen.
Im Kirnbachtal war das Strohflechten ein blühendes Handwerk, das den Menschen reichlich Arbeit gab. „Wer arbeitet, merkt den Hunger nicht so“, sagt Aberle. Der erste Hut, der Cloche genannt wurde, war wie eine Glocke ohne betonten Rand mit kleinen sogenannten Bobbelen. Die Bobbele wurden aus Wolle hergestellt.