Wir haben 430 Jahre Zeitgeschichte durchlebt“, sagt Christian Riethmüller, Geschäftsführer der Osianderschen Buchhandlung GmbH in Tübingen, der zweitältesten Buchhandlung Deutschlands, die zu Beginn auch ein Verlag und eine Druckerei war. „Natürlich gab es in solch einer langen Zeit auch Einbrüche“, sagt Riethmüller und nennt beispielhaft die großen Kriege des 20. Jahrhunderts und die Pest. Während Osiander zur Zeit des Zweiten Weltkriegs aus nur einer Buchhandlung bestand, gibt es heute 61 Filialen verteilt in ganz Süddeutschland. Im Jahr 1920 ging das Unternehmen in den Besitz der Familie Riethmüller über, von der es heute in der vierten Generation von Christian und Martin Riethmüller geleitet wird. Seit 2019 ist außerdem Susanne Gregor an der Leitung beteiligt; sie gehört nicht zur Familie Riethmüller.
„Die Leidenschaft für Bücher und das Familienunternehmen sind hauptausschlaggebend dafür, dass ich jetzt bei Osiander bin“, sagt Christian Riethmüller. Von mehr als 450 Mitarbeitern sind 55 bis 60 Auszubildende. 90 Prozent bekämen nach der Ausbildung eine feste Stelle in einer der Buchhandlungen, sagt Riethmüller. Hierbei schaue man weniger auf die Noten als auf das menschliche Verhalten.
Die Osiander-Buchhandlungen bieten durchschnittlich 15.000 bis 20.000 Bücher an, hauptsächlich Kinder- und Jugendbücher, aber auch viel Unterhaltung für Erwachsene wie Romane und Krimis. „Was es immer weniger gibt, sind Fachbücher, denn diese werden gezielt im Internet gekauft“, sagt Riethmüller. Den Lesern in Deutschland gefielen vor allem das Ungestörtsein und die Ruhe beim Lesen. Positiv sieht der Geschäftsführer, dass auch Influencer ihr Glück als Autoren suchten. Das bringe viele Jugendliche zum Lesen und in eine Buchhandlung.
Um den Interessen der Kunden gerecht zu werden, verändert Osiander das Sortiment zweimal im Jahr grundlegend. Themen würden wöchentlich verändert, und kleine Änderungen gebe es sogar jeden Tag. Osiander verkauft auch Spielwaren, Postkarten, Geschenkartikel und Kalender. Damit würden etwa 35 Prozent des Jahresumsatzes von rund 100 Millionen Euro erzielt, sagt Riethmüller. Von 10 Millionen verkauften Artikeln im Jahr seien nur 6,5 Millionen Bücher.
Den Umsatz hat Osiander in den vergangenen Jahren vor allem durch eine starke Expansion gesteigert. 2002 unterhielt man fünf Filialen und erreichte nach eigenen Angaben einen Umsatz von 20 Millionen Euro. Vor Beginn der Corona-Pandemie erzielte man rund 100 Millionen Euro im Jahr. Im Pandemiejahr 2021 sank der Umsatz um 20 Prozent, wie Riethmüller berichtet. Das Ziel sei, einen Gewinn von einer bis zu 3 Millionen Euro im Jahr zu erreichen.
„Der Anteil von recyceltem Papier wird immer höher“, berichtet Riethmüller und fügt hinzu: „Früher wurde fast jedes Buch noch mal extra in Plastik eingeschlagen, damit es geschützt ist. Es gibt jetzt Verlage, die darauf verzichten.“ Man achte auch selbst auf die Umwelt; so werden in 14 Läden im Internet bestellte Bücher mit dem Fahrrad ausgeliefert.
„Fürs Lesen brauche ich Zeit. Deswegen ist unser Konkurrent das schöne Wetter“, sagt Riethmüller. „Menschen unternehmen dann mehr draußen.“ Auch Blumenläden und Einrichtungsgeschäfte wie Depot seien Konkurrenten, denn 40 Prozent der Bücher würden als Geschenk gekauft. „Wenn du dir überlegst, was schenke ich meiner Mutter zum Geburtstag, dann kannst du sagen, einen Strauß Blumen, einen Einrichtungsgegenstand von Depot oder ein Buch von Osiander.“
In Bezug auf Bücher sei Amazon der Hauptkonkurrent. Um gegen Amazon anzukommen, ging Osiander vor zwei Jahren eine Kooperation mit dem großen Buchhandelsunternehmen Thalia ein. Man pflegte schon vorher eine freundschaftliche Beziehung zur Inhaberfamilie. Osiander profitiert von Thalias IT-System, denn das ermöglicht einen schönen neuen Onlineshop. Weitere Vorteile seien das Teilen von Kosten, mehr Wissen und eine „intelligente Weiterentwicklung in der Zukunft“, sagt Riethmüller. Thalia ist nach Amazon die größte Buchhandlung in Deutschland. Osiander, die im Süden Deutschlands vertreten ist, steht an vierter Stelle hinter Hugendubel. Osianders Marktanteil liege bei 3 bis 4 Prozent. In Baden-Württemberg sei Osiander die stärkste Buchhandlung am Markt.
Der Buchhandel ist stark von der Digitalisierung betroffen. Nicht nur Amazon stellt hierbei ein Problem dar, sondern auch dass vermehrt E-Books gelesen werden. Doch nach Riethmüller geht es der Branche auch in Zeiten der Digitalisierung vergleichsweise gut, denn Buchhandlungen stünden aufgrund der Buchpreisbindung nicht im Preiswettbewerb mit Amazon. Das bedeutet, dass Bücher immer zu einem festen Preis verkauft werden müssen, den sowohl Amazon als auch eine normale Buchhandlung einhalten müssen. „Den Buchhandlungen und Verlagen, die frühzeitig auf die Digitalisierung gesetzt haben wie Thalia oder wir, geht es besser“, sagt Riethmüller.
Riethmüller gelang es nie, seine Lieblingsautorin Astrid Lindgren zu treffen, doch seine Eltern hätten diese Ehre 1972 gehabt, erzählt er. „Nach der Lesung ging ein kleiner Junge zu ihr, drückte ihr ein Eine-Mark-Stück in die Hand und sagte: ,Das ist dafür, dass du so toll vorgelesen hast‘“, erzählt Riethmüller. Sein Lieblingsbuch ist „Karlsson vom Dach“; er liest es mindestens einmal im Jahr. Bei der Lektüre könne man lachen.