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Lesen, Lesen – sei’s gewesen?

Die Buchhandlung Osiander gibt es schon seit gut 400 Jahren. Wie gelingt es, auf diesem schwierigen Markt zu überleben?

F.A.Z.

11.09.2023

Theresa Heim

Berufliches Schulzentrum, Hechingen

Wir haben 430 Jahre Zeitgeschichte durchlebt“, sagt Christian Riethmüller, Geschäftsführer der  Osianderschen Buchhandlung GmbH in Tübingen, der  zweitältesten Buchhandlung Deutschlands, die zu Beginn  auch ein  Verlag und eine Druckerei war.  „Natürlich gab es in solch einer langen Zeit auch Einbrüche“, sagt  Riethmüller und nennt beispielhaft die großen Kriege des 20. Jahrhunderts und die Pest. Während Osiander zur Zeit des Zweiten Weltkriegs aus nur einer Buchhandlung bestand, gibt es heute 61 Filialen verteilt in ganz Süddeutschland.  Im Jahr 1920 ging das Unternehmen in den Besitz der Familie Riethmüller über, von der es  heute in der vierten Generation von Christian und Martin Riethmüller geleitet wird. Seit 2019 ist außerdem Susanne Gregor an der Leitung  beteiligt; sie gehört  nicht zur Familie Riethmüller.

„Die Leidenschaft für Bücher und das Familienunternehmen sind hauptausschlaggebend dafür, dass ich jetzt bei Osiander bin“, sagt Christian Riethmüller. Von mehr als  450  Mitarbeitern sind  55 bis 60  Auszubildende.  90 Prozent  bekämen nach der  Ausbildung eine feste Stelle in einer der Buchhandlungen, sagt Riethmüller.  Hierbei schaue man  weniger auf die Noten als auf das  menschliche Verhalten.

Die  Osiander-Buchhandlungen bieten durchschnittlich 15.000 bis 20.000 Bücher an, hauptsächlich Kinder- und Jugendbücher, aber auch viel Unterhaltung für Erwachsene wie Romane und Krimis.   „Was es immer weniger gibt, sind Fachbücher, denn diese werden gezielt im Internet gekauft“, sagt Riethmüller. Den Lesern in Deutschland gefielen  vor allem das Ungestörtsein und die Ruhe beim Lesen. Positiv sieht der Geschäftsführer, dass auch  Influencer ihr Glück als Autoren suchten.  Das bringe viele Jugendliche zum Lesen und in eine Buchhandlung.

Um den Interessen der Kunden gerecht zu werden, verändert Osiander das Sortiment zweimal im  Jahr grundlegend.  Themen würden wöchentlich verändert, und kleine Änderungen gebe  es sogar jeden Tag.  Osiander verkauft auch  Spielwaren, Postkarten, Geschenkartikel und Kalender. Damit würden etwa 35 Prozent des Jahresumsatzes von rund  100 Millionen Euro erzielt, sagt  Riethmüller.  Von  10 Millionen verkauften Artikeln im  Jahr seien nur  6,5 Millionen  Bücher.

Den Umsatz  hat  Osiander in den vergangenen Jahren vor allem durch eine starke  Expansion gesteigert.  2002 unterhielt man fünf Filialen und erreichte nach eigenen Angaben einen  Umsatz von  20 Millionen Euro. Vor Beginn der Corona-Pandemie erzielte man rund 100 Millionen Euro im Jahr. Im Pandemiejahr 2021 sank der Umsatz um 20 Prozent, wie Riethmüller berichtet.   Das Ziel sei, einen Gewinn von einer bis  zu 3 Millionen Euro im Jahr zu erreichen.  

„Der Anteil von recyceltem Papier wird immer höher“, berichtet Riethmüller und fügt hinzu:  „Früher wurde fast  jedes Buch noch mal extra in Plastik eingeschlagen, damit es geschützt ist. Es gibt jetzt Verlage, die darauf verzichten.“  Man achte auch selbst auf die Umwelt; so werden in 14 Läden  im Internet bestellte Bücher mit dem Fahrrad ausgeliefert.

„Fürs Lesen brauche ich Zeit. Deswegen ist unser Konkurrent das schöne Wetter“, sagt  Riethmüller. „Menschen unternehmen dann mehr draußen.“  Auch Blumenläden und   Einrichtungsgeschäfte wie Depot seien  Konkurrenten, denn 40 Prozent der Bücher würden als Geschenk gekauft.  „Wenn du dir überlegst, was schenke ich meiner Mutter zum Geburtstag, dann kannst du sagen, einen Strauß Blumen, einen Einrichtungsgegenstand von Depot oder ein Buch von Osiander.“

In Bezug auf Bücher sei Amazon der  Hauptkonkurrent. Um gegen Amazon anzukommen, ging Osiander vor zwei Jahren eine Kooperation mit dem großen Buchhandelsunternehmen  Thalia ein. Man pflegte schon vorher eine freundschaftliche Beziehung zur Inhaberfamilie. Osiander profitiert von Thalias  IT-System, denn das  ermöglicht einen schönen neuen Onlineshop. Weitere Vorteile    seien das Teilen von  Kosten, mehr Wissen und eine „intelligente Weiterentwicklung in der Zukunft“, sagt  Riethmüller.  Thalia ist nach Amazon die größte Buchhandlung in Deutschland.  Osiander, die im Süden Deutschlands vertreten ist,  steht an vierter Stelle hinter  Hugendubel. Osianders   Marktanteil  liege  bei 3 bis 4 Prozent.    In  Baden-Württemberg sei  Osiander  die stärkste Buchhandlung am Markt.

Der Buchhandel  ist stark von der  Digitalisierung betroffen. Nicht nur Amazon stellt hierbei ein Problem dar, sondern auch  dass vermehrt E-Books gelesen werden.    Doch nach  Riethmüller  geht es der Branche auch in Zeiten der Digitalisierung vergleichsweise gut, denn Buchhandlungen stünden aufgrund der Buchpreisbindung nicht im Preiswettbewerb mit Amazon.  Das bedeutet, dass Bücher immer zu einem festen Preis verkauft werden müssen, den  sowohl Amazon als auch eine normale Buchhandlung einhalten müssen. „Den Buchhandlungen und Verlagen, die frühzeitig auf die Digitalisierung gesetzt haben wie Thalia oder wir, geht es besser“, sagt Riethmüller.

Riethmüller  gelang es nie,  seine Lieblingsautorin Astrid Lindgren zu treffen, doch seine Eltern hätten  diese Ehre  1972  gehabt, erzählt er. „Nach der Lesung ging ein kleiner Junge zu ihr, drückte ihr ein Eine-Mark-Stück in die Hand  und sagte: ,Das ist dafür, dass du so toll vorgelesen hast‘“, erzählt Riethmüller. Sein  Lieblingsbuch ist „Karlsson vom Dach“; er liest es mindestens einmal im Jahr. Bei der Lektüre könne man lachen. 

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