Spannende Inhalte finden

Jedes Klavier kennt Höhen und Tiefen

Instrumente für Richard Wagner: Klaviere von Steingraeber & Söhne gehören zu den besten der Welt. Die Manufaktur hat auch schwierige Zeiten erlebt.

F.A.Z.

5.01.2023

Lana Sophie Diehl

Albert-Einstein-Schule, Schwalbach

Beim Betreten der Klaviermanufaktur taucht man in eine andere Welt ein. Räume und Säle voller Klaviere, Klänge aus unterschiedlichen Zeiten, der zu großen Teilen erhaltene Rokoko-Bau  – die Steingraeber & Söhne KG gehört zu den ältesten Spitzenherstellern von Klavieren und Flügeln auf der Welt. In diesem Jahr übernehmen Fanny Schmidt-Steingraeber und ihr Bruder Alban Schmidt-Steingraeber das Unternehmen in siebter Generation. Die Manufaktur atmet Geschichte und Zukunft zugleich. Steingraeber & Söhne entwickelt wegweisende Innovationen, und das  seit zwei Jahrhunderten. 1820 wurden in Neustadt und in Rudolstadt in Thüringen die Klavierwerkstätten errichtet. Später kamen weitere Produktionsstätten hinzu, seit 1852 befindet sich das Unternehmen in Bayreuth.

Der Firmensitz war und ist ein Treffpunkt für Künstler aus der ganzen Welt.   Richard Wagner bestellte „1875 sein erstes privates Steingraeber-Instrument“, erzählt Fanny Schmidt-Steingraeber. Bekannt ist das Unternehmen   seit 1876 als Lieferant für die Bayreuther Festspiele. Man sei auch im Ausland  gut vertreten.  Durch den Export habe man 2021 rund zwei Drittel des Umsatzes generiert. 2009 wurde ein Steingraeber-Flügel von Jørn Utzon, dem Architekten des Sydney Opera House, für eine Kopenhagener Kirche designt. Komponist und Kunde von Steingraeber & Söhne, Robert HP Platz, sagt, es sei einzigartig, dass eine Manufaktur so nah am Komponisten sei. „Steingraeber war immer auf die Zukunft gerichtet.“

Doch nicht immer war der Absatz hoch. Anfang des 20. Jahrhunderts, nach schwieriger Kriegszeit mit einer Produktion von lediglich drei bis acht Instrumenten jährlich, sei man zwischenzeitlich auf die Produktion von Radiogehäusen aus Holz umgestiegen. „Damit konnte man das Überleben der Firma retten“, berichtet  die 25 Jahre alte Juniorchefin.

Globalisierung und Wettbewerbsdruck führen zu einer zunehmenden Verlagerung der Produktion deutscher Unternehmen ins Ausland.  Steingraeber & Söhne fertigt hingegen ausschließlich in Deutschland und zu 90 Prozent aus heimischen Materialien. Man verwendet Hölzer und Filze. Für hohe Frequenzen setzen die Klavierbauer auf Buche und Ahorn, für tiefe auf Fichte und Kiefer. Fichtenanteile sichern die Grundtönigkeit, Hartholz die hohen Teiltöne.

„Die Produktion dauert beim kleinsten Klavier ungefähr sieben Monate, beim größten Flügel bis zu vierzehn Monate“, erklärt Klavierbauerin Kerstin Engelbrecht, die die Abteilung Pianomechaniken leitet. Dies sei aber variabel, denn natürliche Werkstoffe seien weder gleichförmig noch gleichmäßig. Die Klavierbauer nähmen sich so viel Zeit zur Bearbeitung, bis jedes Einzelstück –  mit seinen mehr als 6000 Teilen  – perfekt sei. „Dies geht von der Bodenmacherei und der Akustikschreinerei über die Schlosserei, das Saitenspinnen und die Feinmechanik im Spielwerk bis hin zur Regulation, Intonierung und Stimmung“, zählt sie auf.

Konzerte finden auch unter freiem Himmel bei Wind und Wetter statt, es gibt Konzertsalons auf Ozeandampfern und Festivals in Wüsten. Dabei sind Resonanzböden oft starken  Witterungsbedingungen ausgesetzt. Steingraeber verbaut daher auf Anfrage millimeterdünne Kohlefaser-Resonanzböden. „In unseren Wüsten- und Tropenkammern bereiten wir die Instrumente auf die Klimaumstände des Ziellandes vor, damit sie auch dort hochwertig und widerstandsfähig bleiben“, sagt Engelbrecht.

Wie blickt man  auf die  steigende Klavierproduktion in Asien? Fanny Schmidt-Steingraeber zeigt sich zuversichtlich: „Auch wenn immer mehr Klaviere jährlich produziert werden, vor allem in asiatischen Ländern, so bleibt die Zahl der kunsthandwerklich gefertigten Klaviere doch nahezu konstant“, sagt sie. „Nur eine Handvoll Manufakturen auf der Welt, darunter Steingraeber, fertigt Spitzenin­strumente, bei denen die Handwerkskunst im Mittelpunkt steht –  Maschinen dürfen nur assistieren.“ Positiv wirke außerdem, dass immer mehr Menschen auf der Welt Klavier spielten.

„Der Klavierbau steht nie still, nicht zuletzt da sich auch Klangvorstellungen immer verändern“, erklärt Schmidt-Steingraeber. Die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg waren von einem sehr brillanten Klangideal und damit von vielen Obertönen geprägt. In den beiden vergangenen Jahrzehnten legten die Pianisten hingegen Wert auf eine große dynamische Bandbreite, von sehr weichen Pianissimo-Klängen bis hin zu kraftvollen Tönen. Man stelle zudem eine zunehmende Vorliebe für Klangfarben fest wie auch für Polyphonie  und Transparenz, welche das frühere Ideal der orchestralen Dichte und Breite abzulösen scheine, erläutert der bisherige Unternehmenschef Udo Schmidt-Steingraeber.

Das Unternehmen hat  neue Techniken entwickelt. Dazu gehöre der „leichteste Konzertflügeldeckel der Welt“, der aus Material bestehe, wie es sonst in Flugzeugen verbaut werde. „Hierbei handelt es sich um sogenanntes Honigwabenaluminium“, sagt Fanny Schmidt-Steingraeber. „Dies führt zu einer Gewichtsreduktion um mehr als die Hälfte und erhöht die Schwingungsfreundlichkeit des Deckels.“

„Stumm, aber in Sachen Klang verblüffend authentisch“, beschreibt Steingraeber & Söhne das neue Silent-System „adsilent“. Auch wenn das Stummschalten eines Musikinstruments nicht natürlich erscheint, so ist es manchmal doch notwendig. Mit dem Silent-System sollen Klavierspieler durch Kopfhörer echten Steingraeber-Klang erfahren. Zudem versuchte das Unternehmen, individuelle Pedal-Betätigungen zu gestalten, die Querschnittsgelähmten das Klavierspielen erleichtern. Die Entwicklung solcher Bluetooth-Module erfolgte in Zusammenarbeit mit der Universitätsklinik Heidelberg.

Auch Erfindungen der Vergangenheit werden neu erweckt. So wurden 2015 die „Gralsglocken“ nachgebaut, die 1881 von Richard Wagner bei Steingraeber in Auftrag gegeben worden waren. Wagner wollte die Konstruktion für die vier Klänge des Parsifal-Glockengeläuts in den Tempelszenen der Oper seines Bühnenweihfestspieles einsetzen.

 Man beschäftige 35 Mitarbeiter, berichtet Marketingmanagerin Maren Braun. „Wir verkaufen gut 100 Instrumente im Jahr. Diese bewegen sich zwischen 31 540 Euro für unser kleinstes Klavier, das unter anderem im Festspielhaus Bayreuth, der Berliner Philharmonie und dem Leipziger Gewandhaus genutzt wird, und 210 040 Euro für den Konzertflügel E mit seltenem Edelfurnier, der in Konzerthäusern auf der ganzen Welt, unter anderem in San Francisco, Quito, London und Berlin, zu hören ist.“

Seit 2016 sei ein erheblicher Umsatzzuwachs zu verzeichnen.  Das Jahr 2022 habe gut begonnen, dann folgte ein zwischenzeitlicher Absturz mit dem Beginn des Ukrainekrieges.  Für das gesamte Jahr 2022 erwartet man einen Umsatz von gut 4 Millionen Euro. Seit 1852 habe man insgesamt rund vierzigtausend Klaviere und Flügel verkauft, sagt Udo Schmidt-Steingräber. Franz Liszt habe einmal gesagt: „Ich habe noch auf keinen besseren Instrumenten gespielt, als es die Steingraeber’schen sind.“ Der Flügel, auf dem der  Komponist gespielt hat, ist in einem der Säle der Manufaktur ausgestellt.

Zur Veröfffentlichung in der F.A.Z

Weiterlesen

Cookie Einstellungen