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Ist jede Meinung gut gemeint?

Umfragen zu allen möglichen Themen sind im Internet beliebt. Wie groß ihre Aussagekraft?

F.A.Z.

2.12.2021

Jule Ohnemus

Max-Planck-Gymnasium Lahr, Lahr

Nehmen Sie den Teebeutel vor dem Teetrinken heraus? Wie schätzen sie die neu beschlossenen Corona-Maßnahmen ein?  Lesermeinungen zum Ausdruck zu bringen hat sich die Berliner Opinary GmbH zur Aufgabe gemacht. Online-Nutzer können ihre Meinung abgeben und  das bisherige Meinungsbild  einsehen. Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 2016 von den Geschwistern  Cornelius und Pia Frey.  Cornelius Frey hatte nach einem längeren   Auslandsaufenthalt den Eindruck,  von der Meinungsentwicklung in Deutschland nicht genügend mitzubekommen. „Filterblasen auf Social Media sowie die schwindende Qualität von Leserkommentaren der Zeitungen gaben mir nicht das Gefühl, zu brisanten öffentlichen Themen gut informiert zu sein“, erklärt Frey. Außerdem wollten die Geschwister einen   interaktiveren Journalismus ermöglichen. 

Das Unternehmen hat 45 Mitarbeiter und erreicht nach eigenen Angaben monatlich bis zu 120 Millionen Leser. Wettbewerber sind   Unternehmen wie  Playbuzz und  Outbrand. Rund 6000  unterschiedliche Medientools bietet Opinary   an.  Die bekannteste Form einer Opinary-Meinungsumfrage ist der Tacho. Zur Meinungsabgabe können Nutzer  die Tachonadel auf dem Bogen der Tachoform beliebig weit in Ja- oder Nein-Richtung verschieben.   Außerdem bietet Opinary Techniken  an, mit denen die  rund 200 Unternehmenskunden mit gesponserten Umfragen im Opinary-Netzwerk Kunden ansprechen und gewinnen können.

Die  Medienmarken können  mit dem Einsatz der  Medientools  das Engagement ihrer Nutzer steigern und ihre Kunden stärker einbeziehen.  Sie verstünden ihre Kunden besser und könnten so  die Zahl der Abonnements und Registrierungen steigern,  erklärt Frey.  Die von Opinary entwickelten Techniken erreichten 60-mal höhere Interaktionsraten  als  Likes, Shares, Tweets oder Kommentare.

Kunden sind die großen deutschen Online-Nachrichtenseiten, auch spiegel.online und  FAZ.NET  sowie im Ausland The Times, NBC und   Financial Times.  „Viele Nutzer schätzen es, ihre Meinung zu einem Thema kundtun zu können. Sie verlassen dadurch die Rolle des reinen Rezipienten und nehmen selbst zum Thema des Artikels Stellung“, heißt es von faz.net. Allerdings führe alleine  die Entscheidung, einen Artikel zu lesen,  zu einer starken Selektion.

Oft werde Werbung im Internet als störend oder nervig empfunden, sagt Frey. Für das, was Opinary  anbiete, gelte das nicht.  Unternehmen  könnten  Umfragen passend zur  Branchenthematik erwerben und sie  geschickt in einem  Online-Artikel platzieren.  Nach Angaben des Geschäftsführers arbeitet man  nicht mit Tabak- oder Rüstungsunternehmen oder politischen Auftraggebern zusammen. 

Die Gründung finanzierte man  anfangs aus eigenen Mitteln, zunächst war alles noch ein Hobbyprojekt abends und am Wochenende.   Im Jahr 2017 erwirtschaftete das Unternehmen  einen sechsstelligen Umsatz, den man  seitdem jährlich mindestens verdoppelt hat.  Das sei auch für 2020 das Ziel gewesen; es konnte wegen der  Corona-Krise allerdings nicht  ganz verwirklicht  werden, wie  Frey berichtet. Man sei aber  auf den  Wachstumskurs zurückgekehrt.

Umfragen und Meinungsumfragen im Internet sind jedoch umstritten. Kritiker bemängeln die mangelnde Repräsentativität.  Einschränkungen ergäben sich aus der fehlenden Zufallsauswahl der Meinungsäußernden, und es äußerten sich vor allem meinungsstarke Personen. Frey sieht solch eine Skepsis als teils gerechtfertigt: „Repräsentativität ist online schwer herzustellen. Wir erreichen stattdessen diejenigen Menschen, die sich wirklich für das Thema interessieren, und zeigen ihnen, wie ihre Peers über das Thema denken.“

 Martina Thiele,   Professorin für Medienwissenschaft in  Tübingen, verweist neben der  fehlenden Repräsentativität auf die mangelnde fachwissenschaftliche Qualität der Online-Umfragen. Sie seien von empirischer Sozialforschung zu unterscheiden.   Thiele sieht  zwar die Möglichkeit von Meinungsbildung im Netz, doch Unternehmen wie Opinary trügen eher dazu bei, eine Pseudo-Öffentlichkeit herzustellen. „Mitbestimmung und politische Partizipation erfordern mehr als ein, zwei Klicks.“

 Kritiker sehen außerdem die Möglichkeit der Manipulation.  „Bots sind kein Problem, da wir viele  technische Lösungen einsetzen, um diesen effektiv entgegenzuwirken“, entgegnet  Frey.

 

Jule Ohnemus

Max-Planck-Gymnasium, Lahr

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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