Nehmen Sie den Teebeutel vor dem Teetrinken heraus? Wie schätzen sie die neu beschlossenen Corona-Maßnahmen ein? Lesermeinungen zum Ausdruck zu bringen hat sich die Berliner Opinary GmbH zur Aufgabe gemacht. Online-Nutzer können ihre Meinung abgeben und das bisherige Meinungsbild einsehen. Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 2016 von den Geschwistern Cornelius und Pia Frey. Cornelius Frey hatte nach einem längeren Auslandsaufenthalt den Eindruck, von der Meinungsentwicklung in Deutschland nicht genügend mitzubekommen. „Filterblasen auf Social Media sowie die schwindende Qualität von Leserkommentaren der Zeitungen gaben mir nicht das Gefühl, zu brisanten öffentlichen Themen gut informiert zu sein“, erklärt Frey. Außerdem wollten die Geschwister einen interaktiveren Journalismus ermöglichen.
Das Unternehmen hat 45 Mitarbeiter und erreicht nach eigenen Angaben monatlich bis zu 120 Millionen Leser. Wettbewerber sind Unternehmen wie Playbuzz und Outbrand. Rund 6000 unterschiedliche Medientools bietet Opinary an. Die bekannteste Form einer Opinary-Meinungsumfrage ist der Tacho. Zur Meinungsabgabe können Nutzer die Tachonadel auf dem Bogen der Tachoform beliebig weit in Ja- oder Nein-Richtung verschieben. Außerdem bietet Opinary Techniken an, mit denen die rund 200 Unternehmenskunden mit gesponserten Umfragen im Opinary-Netzwerk Kunden ansprechen und gewinnen können.
Die Medienmarken können mit dem Einsatz der Medientools das Engagement ihrer Nutzer steigern und ihre Kunden stärker einbeziehen. Sie verstünden ihre Kunden besser und könnten so die Zahl der Abonnements und Registrierungen steigern, erklärt Frey. Die von Opinary entwickelten Techniken erreichten 60-mal höhere Interaktionsraten als Likes, Shares, Tweets oder Kommentare.
Kunden sind die großen deutschen Online-Nachrichtenseiten, auch spiegel.online und FAZ.NET sowie im Ausland The Times, NBC und Financial Times. „Viele Nutzer schätzen es, ihre Meinung zu einem Thema kundtun zu können. Sie verlassen dadurch die Rolle des reinen Rezipienten und nehmen selbst zum Thema des Artikels Stellung“, heißt es von faz.net. Allerdings führe alleine die Entscheidung, einen Artikel zu lesen, zu einer starken Selektion.
Oft werde Werbung im Internet als störend oder nervig empfunden, sagt Frey. Für das, was Opinary anbiete, gelte das nicht. Unternehmen könnten Umfragen passend zur Branchenthematik erwerben und sie geschickt in einem Online-Artikel platzieren. Nach Angaben des Geschäftsführers arbeitet man nicht mit Tabak- oder Rüstungsunternehmen oder politischen Auftraggebern zusammen.
Die Gründung finanzierte man anfangs aus eigenen Mitteln, zunächst war alles noch ein Hobbyprojekt abends und am Wochenende. Im Jahr 2017 erwirtschaftete das Unternehmen einen sechsstelligen Umsatz, den man seitdem jährlich mindestens verdoppelt hat. Das sei auch für 2020 das Ziel gewesen; es konnte wegen der Corona-Krise allerdings nicht ganz verwirklicht werden, wie Frey berichtet. Man sei aber auf den Wachstumskurs zurückgekehrt.
Umfragen und Meinungsumfragen im Internet sind jedoch umstritten. Kritiker bemängeln die mangelnde Repräsentativität. Einschränkungen ergäben sich aus der fehlenden Zufallsauswahl der Meinungsäußernden, und es äußerten sich vor allem meinungsstarke Personen. Frey sieht solch eine Skepsis als teils gerechtfertigt: „Repräsentativität ist online schwer herzustellen. Wir erreichen stattdessen diejenigen Menschen, die sich wirklich für das Thema interessieren, und zeigen ihnen, wie ihre Peers über das Thema denken.“
Martina Thiele, Professorin für Medienwissenschaft in Tübingen, verweist neben der fehlenden Repräsentativität auf die mangelnde fachwissenschaftliche Qualität der Online-Umfragen. Sie seien von empirischer Sozialforschung zu unterscheiden. Thiele sieht zwar die Möglichkeit von Meinungsbildung im Netz, doch Unternehmen wie Opinary trügen eher dazu bei, eine Pseudo-Öffentlichkeit herzustellen. „Mitbestimmung und politische Partizipation erfordern mehr als ein, zwei Klicks.“
Kritiker sehen außerdem die Möglichkeit der Manipulation. „Bots sind kein Problem, da wir viele technische Lösungen einsetzen, um diesen effektiv entgegenzuwirken“, entgegnet Frey.
Jule Ohnemus
Max-Planck-Gymnasium, Lahr