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Im Edeka erntet man Lorbeeren

Infarm sorgt dafür, dass im Supermarkt nun Kräuter wachsen.

F.A.Z.

6.06.2019

Maximilian Braun

Katholische Schule Liebfrauen, Berlin

Das ist aber cool!“, ruft eine junge Frau. Sie steht in der Edeka-Filiale am Berliner Nollendorfplatz vor einem hohen Glasschrank. Darin wachsen Kräuter und Salate. Alle Wachstumsphasen sind für die Kunden sichtbar; frischgeerntete Kräuter kaufen sie ohne Umwege im Supermarkt. Dahinter steckt das Berliner Start-up Infarm. „Infarm wurde aus dem Wunsch heraus geboren, unser eigenes Essen anzubauen“, sagt Osnat Michaeli, eine der Mitgründerinnen. Eigentlich wollte sie mit Erez und Guy Galonska 2013 ein Café eröffnen. Doch dann kam den drei im März 2014 die Idee der „vertikalen Farmen“. Was in einem alten Airstream-Wohnwagen mit Experimenten zur Pflanzenzucht in urbaner Umgebung begann, entwickelte sich durch hauptsächlich risikokapitalbasierte Investitionen von rund 25 Millionen Euro zu einem Unternehmen mit knapp 215 Mitarbeitern. „Rund eine Million Euro hat auch die EU im Rahmen des Förderprojekts Horizont 2020 beigetragen“, sagt Michaeli.

In schrankähnlichen Kästen wachsen auf mehreren Regalen Salate und Kräuter; das spart Transportkosten und ermöglicht den Anbau von frischen Pflanzen zu allen Jahreszeiten. Vor allem für Kräuter, die sonst in fernen Ländern wachsen, ist das vorteilhaft. „Wir schaffen eine Umgebung, in der Wachstumsprozesse der Natur so genau wie möglich reproduziert werden“, erklärt Michaeli. Bei Infarm laufen viele Prozesse hochtechnisiert ab. So können Mitarbeiter die Wachstumsbedingungen der Kräuter in jeder Farm über das Internet überwachen und steuern.

Infarm vermietet seine vertikalen Farmen an Supermärkte wie Edeka und Metro. Auch die Gastronomie zählt zu den Kunden, zum Beispiel ein Restaurant des Berliner Zwei-Sterne-Kochs Tim Raue und das Neni im Bikini Berlin. „Wir vermieten momentan knapp 300 Farmen“, erzählt Ronja Sandles von Infarm. „Die meisten davon sind in den Edeka-Filialen in Deutschland, aber es gibt auch welche in der Schweizer Supermarktkette Migros sowie in Frankreich bei Metro.“ Standorte der Edeka-Filialen sind neben Berlin unter anderem Düsseldorf, Hannover, Rostock und Hamburg. Infarm plant, bis Ende 2019 rund 1000 Farmen in Europa zu betreuen. Im Vergleich dazu liegt die Zahl der verkauften „Plantcubes“ von Infarms Konkurrent Agrilution erst im „niedrigen dreistelligen Bereich“, wie Moritz Buchholz, Mitarbeiter von Agrilution, berichtet. Die Plantcubes, in denen ebenfalls Salate und Kräuter wachsen, werden an Privathaushalte verkauft. Ein Plantcube kostet knapp 3000 Euro.

Infarm bietet seinen Geschäftskunden verschiedene Farmen an; der Mietpreis richtet sich nach der Größe der Farm. Die Berliner übernehmen nach der Lieferung auch die Inbetriebnahme, die Wartung, die Bestückung mit Samen und die Ernte. Es gibt rund 600 Samen zur Auswahl, von Thai-Basilikum bis zu peruanischer Minze. „In Zukunft wollen wir das Sortiment noch um Tomaten, Chilis, Pilze, Erdbeeren und verschiedene Kohlsorten erweitern“, sagt Sandles. „Klassiker wie Basilikum sind in jeder Marktfarm in unseren Märkten vorhanden. Die verschiedenen Basilikum-Varianten sind auch die absoluten Kräuterlieblinge der Kunden“, sagt Miriam Pöttker, Pressereferentin von Edeka.

Die Betriebskosten für die Farmen muss der Mieter tragen. Michaeli betont jedoch, dass sie deutlich niedriger seien als in der Landwirtschaft. Es dauert dreißig Tage, bis der Setzling erntereif ist. Zweimal wöchentlich kommen Mitarbeiter von Infarm in die Filialen und ernten. In braunen beschrifteten Papiertüten gelangen die Pflanzen anschließend mitsamt ihren Wurzeln ins Verkaufsregal. „So bleiben wichtige Nährstoffe und Vitamine erhalten“, erklärt Michaeli. Bei Edeka kosten die Kräuter 1,29 Euro. „Anfangs war ich etwas skeptisch, als ich diese großen Schränke im Markt gesehen habe“, erzählt eine Kundin, „aber dann wollte ich die Kräuter doch mal probieren und bin vor allem von den exotischen Sorten überzeugt.“

Nach Michaelis Angaben rechnet man Mitte 2019 mit dem ersten Gewinn. Das neueste Projekt sei die „DC Farm“. Sie besteht aus mindestens 18 großen Modulen, die zu einer Einheit verbunden sind. „Eine Metro-Filiale in Paris hat eine DC Farm. Diese produziert jährlich ungefähr 4 Tonnen Kräuter, was die Filiale unabhängig von externen Kräuterlieferanten macht. Auch im Verteilerzentrum von Edeka in Hannover steht eine DC Farm“, sagt Michaeli. Noch größere Ausmaße hat die vertikale Farm des Unternehmens Aerofarms. Diese ist 21 Hektar groß und soll nach Angaben des Mitbegründers David Rosenberg 1000 Tonnen Blattgemüse jährlich produzieren.

Infarm plant, nach England zu expandieren und sich langfristig in Asien und Amerika zu etablieren. Außerdem beschäftigt man sich mit der Frage, wie die stetig wachsende Weltbevölkerung ernährt werden kann. Beda Stadler, emeritierter Biologie-Professor der Universität Bern, sagt jedoch: „Das ist keine Lösung für unseren Hunger. Ich finde es auch schön, wenn man in einer Stadt das allerfrischeste Basilikum kaufen kann; aber das ist ein Luxusdenken.“

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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