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Heim gesucht von Ameisen

Preise bis zu 1500 Euro: Ein Schüler verkauft Ameisen, die er im Keller seines Elternhauses lagert.

F.A.Z.

3.02.2022

Paul Schmitz-Stevens

Kath. Schule Liebfrauen, Berlin-Charlottenburg

Auf der Welt sollen  nach einer  Schätzung rund 10 Billiarden Ameisen leben.  Ameisenforscherin  Susanne Foitzik, Professorin der Evolutionsbiologie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, möchte  diese Schätzung  nicht bestätigen. Bestätigt werden kann aber, dass sich ungefähr 10 000 Ameisen im Keller von Niclas Ochonskis Eltern  befinden. Der 17-Jährige verkauft in seinem  Onlineshop Magic Ants  seit 2019 Ameisen.  „Magic steht dafür, dass ich einen magisch guten Kundenservice und eine gute Qualität anbiete“, sagt der Kasseler Schüler selbstbewusst.  In der vierten Klasse habe  ein Schulfreund  Ameisen gehalten. „Dann habe ich von ihm eine Kolonie geschenkt bekommen und bin so auf dieses Thema gestoßen“, berichtet Ochonski.   „Dabei hat mich das Sozialleben der Tiere am meisten fasziniert.“

Ähnlich sieht es Forscherin Foitzik:  „Ameisen leben immer in komplexen Staaten. Sie haben eine Form von Arbeitsteilung und Krankheitsfürsorge entwickelt.“ Einige betrieben  Landwirtschaft  – sie züchteten Pilze –  und  so etwas wie Viehzucht, indem sie  Blatt- und  Wurzelläuse versorgten. „Ameisen führen Kriege und haben eine Art Sklavenhalterei entwickelt.“ Foitzik konstatiert  viele Parallelen zum Menschen „und doch eine ganz andere Evolution“.

 Ochonski bietet neben Ameisenkolonien aus fast allen Kontinenten auch  Zubehör an: für rund 30 Euro Formicarien,  Terrarien speziell für Ameisen, sowie Nester und Arenen, in denen sich die Ameisen  mit Futter versorgen und Abfälle entsorgen können. Das Zubehör stellt er größtenteils  im 3-D-Drucker her. „Dadurch habe ich mehr Kontrolle über meine Produkte und kann auf individuelle Kundenwünsche besser eingehen. Außerdem weiß ich dadurch, was genau in den Produkten verarbeitet ist“, erklärt er. Meistens  kaufen seine Kunden neben den Ameisen  auch  das passende Zubehör. 

Die meisten Ameisen importiert Ochonski, wobei es oft Schwierigkeiten mit dem Zoll gebe, da das Einführen von Insekten  nicht  klar geregelt sei.  Er sammelt sie aber auch selbst ein, bei sogenannten Schwarmflügen. Dann verlassen die gerade geschlüpften Jungköniginnen und Männchen das Nest, um sich zu paaren. Nur die Königinnen sind für ihn von Interesse: „Sie sind das Herzstück der Kolonie. Ohne Königin wäre die Kolonie nichts wert. Sie ist sozusagen das, was den Preis ausmacht“, erklärt Ochonski.

Er verkauft die Königinnen immer mit der Brut und einigen Arbeiterinnen. Dabei reicht der Preis für eine Königin mit Brut und etwa 30 Arbeiterinnen von 9 Euro für eine heimische Schwarze Wegameise bis zu 75 Euro für eine afrikanische Art. „Königinnen können 10 bis 30 Jahre alt werden – super alt für so ein kleines Insekt“, sagt Forscherin  Foitzik.

Die teuerste Ameise, die Ochonski jemals verkauft hat, war die Myrmecia pyriformis, auch Bulldoggenameise genannt, aus Australien, die als größte Ameise der Welt gilt. Sie ist sehr selten – und  empfindlich, weswegen sie oft den Transport nicht übersteht. Ein Exemplar  hat Ochonski für 1500 Euro verkauft. Aber auch Ameisen, die den schmerzhaftesten Ameisenstich der Welt verursachen, sind bei ihm sehr gefragt. „Je abgefahrener die Ameisen, desto größer die Nachfrage und umso höher der Preis“, berichtet Ochonski.

Mit mehreren Hundert Bestellungen  lag sein Umsatz 2020 bei mehr als  6000 Euro. Aufgrund der Pandemie seien die Einfuhr und somit auch die Bestellungen exotischer Ameisen etwas zurückgegangen, da die Lieferkette kollabiert sei, sagt er. Aber seit November  nehme  alles  langsam wieder  Fahrt auf. Derzeit  setzt Ochonski mit seinem Ameisenhandel monatlich im Durchschnitt 600 Euro um. „Da lässt es sich als Schüler auf jeden Fall gut von leben“, sagt der junge Mann.  Er mache das Ganze, weil es Spaß bereite.  Nach dem Abitur möchte er studieren, vielleicht Biologie oder Biotechnik.

Die Ameisen und das Equipment lagert Ochonski  im Keller, wofür das Büro seines Vaters weichen musste. Die kleinen Tiere werden dann  gepolstert und vor Frost und Kälte geschützt in  Reagenzgläsern verschickt. „Es wäre zu schade, wenn die Ameisen den ganzen Weg aus dem Ausland zu mir kommen und dann auf dem Transport zum Kunden sterben.“ Generell verkauft er neben den heimischen lediglich solche exotischen Exemplare, die bei einem Ausbruch dem Ökosystem nicht schaden.

Seine Kunden sind private Sammler, meist sind sie männlich und jung. Hinzu kommen  Zoologen und  Forscher, die zum Beispiel das Sozialverhalten der Tiere genauer studieren. Ameisen spielen auch eine wichtige Rolle für das Ökosystem: Sie verbreiten zum Beispiel Samen, verbessern den Boden und  bekämpfen Schädlinge, weshalb auch Förster zu den Kunden gehören.  Schulen und  Kindergärten kaufen ebenfalls seine Ameisen.  Kinder können durch Beobachtung viel über das Sozialleben der Tiere  lernen.

„Der Sozialstaat und das Beobachten der Ameisenkolonien bereiten jedem Faszination und Begeisterung“, meinen auch die Eltern von Ochonski. „Für uns sind die Ameisen kein Problem, solange sie sicher untergebracht sind und nicht im Haus umherlaufen.  Wir haben uns inzwischen an die Ameisen gewöhnt, und sie sind ganz normale Haustiere geworden.“ Niclas Ochonski wird gesetzlich von seinem Vater vertreten, da er  noch nicht volljährig ist. Außerdem brauchte er bei der Anmeldung des Gewerbes die Erlaubnis seiner Eltern.

Ochonski hat sein Wissen durch Fachliteratur und in  Foren erworben,  hauptsächlich aber durch  Erfahrung. „Das hat mich auch viel gekostet, da teilweise Ameisen gestorben sind aufgrund von falschen Temperaturen, zu wenig Futter oder Parasiten“, erzählt  er. Sein Nebenverdienst ist nicht immer ungefährlich: Einmal war sein ganzer Oberkörper betäubt, nachdem ihn eine exotische Ameise gestochen hatte. „Das hat nicht wehgetan. Aber eine andere Ameise hat mir auch schon einmal Gift injiziert, das war sehr schmerzhaft.“ Einmal   bemerkte er abends beim Fernsehen plötzlich ein Gewusel im Wohnzimmer. Er hatte vergessen, den Deckel einer Arena zu schließen. Ein spezieller Staubsauger hat ihm geholfen, alle Ameisen wieder an ihren Platz zu bringen.

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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