Auf der Welt sollen nach einer Schätzung rund 10 Billiarden Ameisen leben. Ameisenforscherin Susanne Foitzik, Professorin der Evolutionsbiologie an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, möchte diese Schätzung nicht bestätigen. Bestätigt werden kann aber, dass sich ungefähr 10 000 Ameisen im Keller von Niclas Ochonskis Eltern befinden. Der 17-Jährige verkauft in seinem Onlineshop Magic Ants seit 2019 Ameisen. „Magic steht dafür, dass ich einen magisch guten Kundenservice und eine gute Qualität anbiete“, sagt der Kasseler Schüler selbstbewusst. In der vierten Klasse habe ein Schulfreund Ameisen gehalten. „Dann habe ich von ihm eine Kolonie geschenkt bekommen und bin so auf dieses Thema gestoßen“, berichtet Ochonski. „Dabei hat mich das Sozialleben der Tiere am meisten fasziniert.“
Ähnlich sieht es Forscherin Foitzik: „Ameisen leben immer in komplexen Staaten. Sie haben eine Form von Arbeitsteilung und Krankheitsfürsorge entwickelt.“ Einige betrieben Landwirtschaft – sie züchteten Pilze – und so etwas wie Viehzucht, indem sie Blatt- und Wurzelläuse versorgten. „Ameisen führen Kriege und haben eine Art Sklavenhalterei entwickelt.“ Foitzik konstatiert viele Parallelen zum Menschen „und doch eine ganz andere Evolution“.
Ochonski bietet neben Ameisenkolonien aus fast allen Kontinenten auch Zubehör an: für rund 30 Euro Formicarien, Terrarien speziell für Ameisen, sowie Nester und Arenen, in denen sich die Ameisen mit Futter versorgen und Abfälle entsorgen können. Das Zubehör stellt er größtenteils im 3-D-Drucker her. „Dadurch habe ich mehr Kontrolle über meine Produkte und kann auf individuelle Kundenwünsche besser eingehen. Außerdem weiß ich dadurch, was genau in den Produkten verarbeitet ist“, erklärt er. Meistens kaufen seine Kunden neben den Ameisen auch das passende Zubehör.
Die meisten Ameisen importiert Ochonski, wobei es oft Schwierigkeiten mit dem Zoll gebe, da das Einführen von Insekten nicht klar geregelt sei. Er sammelt sie aber auch selbst ein, bei sogenannten Schwarmflügen. Dann verlassen die gerade geschlüpften Jungköniginnen und Männchen das Nest, um sich zu paaren. Nur die Königinnen sind für ihn von Interesse: „Sie sind das Herzstück der Kolonie. Ohne Königin wäre die Kolonie nichts wert. Sie ist sozusagen das, was den Preis ausmacht“, erklärt Ochonski.
Er verkauft die Königinnen immer mit der Brut und einigen Arbeiterinnen. Dabei reicht der Preis für eine Königin mit Brut und etwa 30 Arbeiterinnen von 9 Euro für eine heimische Schwarze Wegameise bis zu 75 Euro für eine afrikanische Art. „Königinnen können 10 bis 30 Jahre alt werden – super alt für so ein kleines Insekt“, sagt Forscherin Foitzik.
Die teuerste Ameise, die Ochonski jemals verkauft hat, war die Myrmecia pyriformis, auch Bulldoggenameise genannt, aus Australien, die als größte Ameise der Welt gilt. Sie ist sehr selten – und empfindlich, weswegen sie oft den Transport nicht übersteht. Ein Exemplar hat Ochonski für 1500 Euro verkauft. Aber auch Ameisen, die den schmerzhaftesten Ameisenstich der Welt verursachen, sind bei ihm sehr gefragt. „Je abgefahrener die Ameisen, desto größer die Nachfrage und umso höher der Preis“, berichtet Ochonski.
Mit mehreren Hundert Bestellungen lag sein Umsatz 2020 bei mehr als 6000 Euro. Aufgrund der Pandemie seien die Einfuhr und somit auch die Bestellungen exotischer Ameisen etwas zurückgegangen, da die Lieferkette kollabiert sei, sagt er. Aber seit November nehme alles langsam wieder Fahrt auf. Derzeit setzt Ochonski mit seinem Ameisenhandel monatlich im Durchschnitt 600 Euro um. „Da lässt es sich als Schüler auf jeden Fall gut von leben“, sagt der junge Mann. Er mache das Ganze, weil es Spaß bereite. Nach dem Abitur möchte er studieren, vielleicht Biologie oder Biotechnik.
Die Ameisen und das Equipment lagert Ochonski im Keller, wofür das Büro seines Vaters weichen musste. Die kleinen Tiere werden dann gepolstert und vor Frost und Kälte geschützt in Reagenzgläsern verschickt. „Es wäre zu schade, wenn die Ameisen den ganzen Weg aus dem Ausland zu mir kommen und dann auf dem Transport zum Kunden sterben.“ Generell verkauft er neben den heimischen lediglich solche exotischen Exemplare, die bei einem Ausbruch dem Ökosystem nicht schaden.
Seine Kunden sind private Sammler, meist sind sie männlich und jung. Hinzu kommen Zoologen und Forscher, die zum Beispiel das Sozialverhalten der Tiere genauer studieren. Ameisen spielen auch eine wichtige Rolle für das Ökosystem: Sie verbreiten zum Beispiel Samen, verbessern den Boden und bekämpfen Schädlinge, weshalb auch Förster zu den Kunden gehören. Schulen und Kindergärten kaufen ebenfalls seine Ameisen. Kinder können durch Beobachtung viel über das Sozialleben der Tiere lernen.
„Der Sozialstaat und das Beobachten der Ameisenkolonien bereiten jedem Faszination und Begeisterung“, meinen auch die Eltern von Ochonski. „Für uns sind die Ameisen kein Problem, solange sie sicher untergebracht sind und nicht im Haus umherlaufen. Wir haben uns inzwischen an die Ameisen gewöhnt, und sie sind ganz normale Haustiere geworden.“ Niclas Ochonski wird gesetzlich von seinem Vater vertreten, da er noch nicht volljährig ist. Außerdem brauchte er bei der Anmeldung des Gewerbes die Erlaubnis seiner Eltern.
Ochonski hat sein Wissen durch Fachliteratur und in Foren erworben, hauptsächlich aber durch Erfahrung. „Das hat mich auch viel gekostet, da teilweise Ameisen gestorben sind aufgrund von falschen Temperaturen, zu wenig Futter oder Parasiten“, erzählt er. Sein Nebenverdienst ist nicht immer ungefährlich: Einmal war sein ganzer Oberkörper betäubt, nachdem ihn eine exotische Ameise gestochen hatte. „Das hat nicht wehgetan. Aber eine andere Ameise hat mir auch schon einmal Gift injiziert, das war sehr schmerzhaft.“ Einmal bemerkte er abends beim Fernsehen plötzlich ein Gewusel im Wohnzimmer. Er hatte vergessen, den Deckel einer Arena zu schließen. Ein spezieller Staubsauger hat ihm geholfen, alle Ameisen wieder an ihren Platz zu bringen.