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Fliegen sind sehr anhänglich

Nicht schön ist der Fliegenfänger, aber wirkungsvoll. Ihn hat Aeroxon im Jahr 1911 entwickelt. Die Produkte des Marktführers findet man in vielen deutschen Haushalten.

F.A.Z.

18.12.2020

Daniel Andrecht

Eichsfeld-Gymnasium, Duderstadt

In Deutschland herrscht schon seit langem ein Klima der Angst – die Angst vor Musca domestica. Dieses rund 8 Millimeter kleine Tierchen machte schon Hausfrauen im Mittelalter das Leben schwer. Da der schwarz gefärbte Feind seine Eier gerne in Kadavern und anderen Exkrementen ablegt, kommt es nicht selten vor, dass Krankheitserreger an ihm haften bleiben, die er auf Nahrungsmittel überträgt. So besteht durchaus die Möglichkeit, dass sich Infektionskrankheiten wie Salmonellen ausbreiten. Es ist daher empfehlenswert, Lebensmittel nicht offen herumstehen zu lassen. Nach Angaben des Umweltbundesamts kann man mit Hilfe von Fliegenklatschen und Leimfängern die Stubenfliege wirksam bekämpfen.

„Speziell der Fliegenfänger benötigt für seine Einzelteile eine spezialisierte Produktion mit vielen Einzelproduktionsschritten“, erklärt Thomas Nürk, Leiter der Marketingabteilung der Aeroxon Insect Control GmbH aus Waiblingen in Baden-Württemberg. Nürk verweist auf die genau vorgegebenen Spezifikationen der Rohstoffe für die Leimherstellung. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Nielsen war Aeroxon mit einem Anteil von 28,4 Prozent 2019 führend auf dem Markt für Haushaltsinsektizide.

1911 fing es mit dem Gründungsprodukt „Fliegenfänger am Band“ an. Inzwischen umfasst das Sortiment der ältesten deutschen Insektizidmarke mehr als dreißig Schädlingsbekämpfungsmittel. Das Unternehmen bezeichnet sich als der auf der Welt führende Hersteller von Fliegenfängern. Man beschäftigt rund 180 Mitarbeiter. Aeroxon besitzt ein zweites Werk in Klatovy in Tschechien. „Dazu kommt eine Vertriebsniederlassung in Bregenz in Österreich“, sagt Nürk. Die Ausfuhrquote beträgt 24 Prozent. Man exportiert unter anderem in die Schweiz und die Benelux-Länder sowie nach Großbritannien, Russland und Kanada.

Der Konditor Theodor Kaiser hat 1909 den „Fliegenfänger am Band“ in seiner Backstube entwickelt. „Um die Fliegen zu fangen, experimentierte er anfangs mit Zuckersirup und Melasse, die er auf Papier aufstrich“, erklärt Alice Pfau, Urenkelin von Theodor Kaiser und im Unternehmen zuständig für das historische Firmenarchiv. Das Produkt verkaufte sich schon in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gut. „Damals sind Maschinen entwickelt worden, die es ermöglicht haben, den Fliegenfänger deutlich schneller, effizienter und auch besser herzustellen“, sagt Nürk. So habe der Automatisierungsprozess dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Schon 1926 wurden etwa 38 Millionen Fliegenfänger exportiert.

„Der Fliegenfänger ist unser Gründungsartikel, und er hat auch heute noch eine gewisse Bedeutung“, berichtet Nürk. Die Umsätze mit den Fliegenfängern seien nach dem Zweiten Weltkrieg eingebrochen. Ursache war die Verbreitung des Insektizids DDT. Das Unternehmen lehnt den Einsatz hochgiftiger Chemikalien seit jeher ab. „Einziges verfügbares Insektizid zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Pyrethrum. Da es aber giftig war, kam ein Einsatz für Theodor Kaiser nicht in Frage“, sagt Pfau. Trotz negativer wirtschaftlicher Entwicklung baute Aeroxon im Laufe der Zeit ein umfangreiches Sortiment mit Produkten gegen Insekten auf. Seit 2002 wird das Unternehmen in vierter Generation von Thomas Updike geführt.

Harze und Gummi sind wichtige Bestandteile von Fliegenfängerleim. „Es sind alles spezialisierte Rohstoffe, die in einer gleichbleibenden Qualität eingesetzt werden müssen, weil der Leim immer die gleichen Eigenschaften aufweisen soll“, erklärt Nürk. Dabei sei die Herstellung von Biozidprodukten auf EU-Ebene genau festgelegt. „Mit der Biozidprodukte-Verordnung werden die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten europaweit einheitlich festgelegt“, sagt Evelyn Roßkamp vom Verband der Chemischen Industrie in Deutschland.

Das derzeit preiswerteste Produkt von Aeroxon ist die Fliegenklatsche, die für einen Euro erhältlich ist. Als teuersten Artikel führt das Unternehmen den Elektroverdampfer zur Bekämpfung von Stechmücken an. Dieses Produkt koste im Lebensmitteleinzelhandel etwa 8 Euro. Insgesamt lag im Jahr 2019 der Umsatz des Unternehmens laut Nürk bei 46,3 Millionen Euro. Dies entspreche einer Steigerung von 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wettbewerber seien Nexa Lotte und Raid. Der deutsche Gesamtmarkt für Haushaltsinsektizide hatte nach Nielsen 2019 eine Größe von 104,4 Millionen Euro.

Die Hauptabsatzkanäle von Aeroxon sind der Lebensmitteleinzelhandel, Drogeriemärkte, Abholgroßmärkte und E-Commerce. „Das meistverkaufte Produkt 2019 kostet rund 4 Euro“, sagt Nürk. Es handele sich um die Lebensmittelmotten-Falle. Auch die Kleidermotten-Falle und die Ameisen-Köderdose befänden sich unter den fünf stärksten Artikeln 2019. Von der Lebensmittelmotten-Falle hat Aeroxon 2019 rund 2 Millionen Stück in Deutschland verkauft; auf der ganzen Welt waren es laut Nürk etwa 4 Millionen Stück. Die Lebensmittelmotten-Falle ist eine geruchlose Leimfalle zum Fangen von Dörrobstmotten. Durch den im Leim eingearbeiteten Sexuallockstoff Pheromon der weiblichen Motte wird das männliche Tier angelockt und gefangen. Eine Fortpflanzung ist nicht mehr möglich.

Demgegenüber sei der Fliegenfänger, das Gründungsprodukt des Unternehmens, heute zu einer Art Undercover-Produkt für den Lebensmittelhandel geworden. „Keiner mag ihn, keiner verwendet ihn, und trotzdem wird er millionenfach verkauft“, sagt Nürk. Die Absatzzahlen seien in den vergangenen Jahren stabil. Im Jahr 2018 wurden rund 2,8 Millionen Fliegenfänger verkauft, der Umsatz betrug laut Nürk 4,5 Millionen Euro. Im Jahr 2019 verkaufte das Unternehmen in Deutschland rund eine Million Faltschachteln mit jeweils vier Fliegenfängern zum Preis von etwa 2 Euro.

„Alternativprodukte zum Fliegenfänger gibt es schon seit Jahren in großer Anzahl“, sagt Nürk und verweist auf die Fenster-Fliegenfalle. Hierbei handelt es sich um einen durchsichtigen Kunststoffstreifen, der Fliegen am Fenster fängt. Der herkömmliche Fliegenfänger weist in seiner Anwendung einige Aspekte auf, die nicht jedem Konsumenten gefallen dürften. So stören sich viele an seinem Anblick als unschönes Objekt im Raum. Dennoch bleibe er ein wirksames Produkt, sagt Nürk. „Wer zum Beispiel im ländlichen Bereich wohnt und in seinem Stall ein großes Fliegenproblem hat, der hängt sich den Fliegenfänger gerne auf, weil er schnell und effektiv sehr viele Fliegen fängt.“

„Für die Leimentwicklung, die sich über mehrere Jahre hinzog, waren natürlich Fliegen wichtig“, erklärt Pfau. Da der Gründer Theodor Kaiser in den Anfangsjahren noch keine eigene Fliegenzucht besaß, versuchte er während der Herbsturlaube an der Riviera mit Hilfe von präparierten Streichholzschachteln eine große Anzahl an Fliegen unter seine Fittiche zu bringen. „Dies brachte ihm im Hotel den Spitznamen ,Monsieur l’attrape-mouche‘ ein“, plaudert Pfau aus dem Nähkästchen. So bekam das Unternehmen eine hauseigene Testfliegenzucht. Seit 2011 befinden sich auf dem Betriebsgelände mehrere Testkabinen für Versuche mit Motten und Fliegen sowie auf einer Fläche von 126 Quadratmetern die Fliegenzucht.

Derzeit stehen für Aeroxon die Forschung an neuen Produkten sowie der Ausbau der Sicherheit der hergestellten Insektizide im Vordergrund. „Ein zweistufiges Zulassungsverfahren stellt sicher, dass die Herstellung und Verwendung von bioziden Produkten keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier und keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben“, ergänzt Roßkamp vom Chemieverband.

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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