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Filme werden im Akkord vertont

Orchestral Tools produziert Sounds für die Filmmusiken großer Hollywood-Produktionen. Auch Hans Zimmer ist Kunde.

F.A.Z.

15.09.2022

Benjamin Menssen

Kath. Schule Liebfrauen, Berlin-Charlottenburg

„Egal, welchen Film Sie sehen, die Wahrscheinlichkeit ist extrem hoch, dass Sie unsere Sounds hören“, sagt Hendrik Schwarzer, Mitgründer und Geschäftsführer von Orchestral Tools, die auch unter dem Namen Schwarzer & Mantik GmbH auftreten. Das Unternehmen erschafft digitale Klangbibliotheken, also eine Art virtuelle Archive, in die Klänge von echten Instrumenten eingespielt und gespeichert werden, und verkauft diese Sounds dann an Komponisten oder Musikproduzenten. Letztere legen sich die Töne von verschiedenen Instrumenten auf die Klaviatur ihres E-Pianos und kreieren damit komplexe Filmmusiken.

Im Bereich der Filmmusik wird mittlerweile sehr viel digital komponiert, wie Geschäftsführer Schwarzer erklärt. Zwar ließen die großen Filmproduktionen ihre Musik final noch von ganzen Orchestern einspielen; diese über einen längeren Zeitraum zu mieten, um Kompositionsideen auszuprobieren, sei aber häufig schlicht zu aufwendig und zu teuer, erklärt Schwarzer. Unternehmen wie Orchestral Tools bieten hier eine Lösung an: Sie nehmen Klänge von Instrumenten in verschiedenen Variationen auf und verkaufen diese Aufnahmen, sodass sich jeder Komponist auf dem heimischen Keyboard ganze Orchesterwelten aufbauen kann, um daraus Musik zu kreieren. Auch Hans Zimmer, einer der prominentesten Filmmusik-Komponisten auf der Welt, der erst im März einen Oscar für die Musik zum Film „Dune“ erhalten hat und auch Musik für den jüngsten James-Bond-Film „Keine Zeit zu sterben“ komponierte, ist laut Schwarzer Kunde von Orchestral Tools.

Aufgenommen werden die Sounds von Musikern mit unterschiedlichsten Instrumenten im Berliner Teldex-Studio. „Mit unserem Standort in Berlin-Kreuzberg genießen wir eine große Orchestervielfalt“, erklärt Schwarzer. So arbeitet das Unternehmen mit Instrumental- und Vokalmusikern renommierter Ensembles wie den Berliner Philharmonikern oder dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin zusammen. Besondere Projekte führten das ursprünglich in March bei Freiburg im Breisgau gegründete Unternehmen, das seit 2010 digitale Instrumente erschafft, aber auch schon in die baltischen Staaten und nach Asien.

Die erstellten Sounds werden in virtuellen Klangbibliotheken gespeichert. Diese werden von Komponisten erworben, um damit Filmmaterial, das heißt Filme, Serien, aber auch Computerspiele, zu vertonen. Zugriffsrecht auf die Sounds von Orchestral Tools erhält jeder zahlende Kunde, die Sounds werden also nicht exklusiv, sondern an viele Kunden verkauft. Erst wenn ein Kunde aus diesen einzelnen Tönen eine eigene Komposition erstellt, wird diese als geistiges Eigentum geschützt, der Kunde erhält somit ein Exklusivrecht auf das Musikstück. „Das ist wie bei gewöhnlichen Instrumenten“, sagt Schwarzer, „der Klavierbauer verkauft ja auch nur die Grundlage des Komponierens und erhält dadurch keine Rechte an der Komposition selbst.“

Die angebotenen Produkte, die Schwarzer futuristisch beispielsweise Miroire, Modus oder Metropolis Ark nennt, verkauft das Unternehmen ausschließlich über seine Internetpräsenz zum Herunterladen. Während das teuerste Produkt im Onlineshop für 849 Euro angeboten wird, kann man manche Aufnahmen einzelner Instrumente schon für weniger als 50 Euro kaufen.

Auf der eigenen Plattform von Orchestral Tools, der Schnittstelle von Keyboard und den digitalen Sounds, tummeln sich nach Schwarzers Angaben mittlerweile über 200.000 Nutzer. „Unsere Zielgruppe sind wirklich Menschen, die geschäftlich Musik machen“, berichtet Schwarzer. Allerdings kämen immer mehr sogenannte Bedroom-Producer dazu, die hobbymäßig Musik mit Produkten von Orchestral Tools machten.

Neben den universellen Klangbibliotheken, die sich in Instrumentation und Klangfarbe unterscheiden und von denen Orchestral Tools nach Schwarzers Angaben durchschnittlich zwei Projekte im Monat auf den Markt bringt, habe man auch schon in Kooperation mit konkreten Filmprojekten individuelle und einzigartige Sounds kreiert. „Für den Disney-Film ,Mulan' aus dem Jahr 2020 beispielsweise sind wir extra nach Asien geflogen und haben in Zusammenarbeit mit dem britischen Komponisten Harry Gregson-Williams eigens ein neues Orchester mit traditionell chinesischen Instrumenten zusammengestellt", sagt Schwarzer. Eine ähnliche Kooperation gab es auch für die Star-Trek-Serien „Picard“ und „Discovery“.

„Bei uns arbeiten momentan 24 Mitarbeiter“, führt Schwarzer aus, darunter viele aus den Bereichen Softwareentwicklung und Sounddesign, aber auch aus dem Marketing. Sie würden unterstützt durch eine Reihe von Freiberuflern. Die Musiker, die die Töne einspielen, sind ebenfalls nicht fest angestellt. „Je nachdem, welchen Sound wir suchen, wenden wir uns an bestimmte Musiker“, sagt der Geschäftsführer.

Von der Corona-Krise hätten sie sehr profitiert. „Infolge der pandemischen Einschränkungen wie den Lockdowns schnellte die Nachfrage nach Streaming-Angeboten rasant hoch“, erklärt Schwarzer. Vorliegende Filmmaterialien wurden daher im Akkord vertont. Auch im Hobbybereich, berichtet Schwarzer, konnten die Produkte von Orchestral Tools punkten, hätten sie doch Abhilfe vom monotonen Lockdown-Alltag geschaffen. „Die Leute hatten Zeit, waren zuhause, und Musik ist da eine produktive Beschäftigung“, sagt der Geschäftsführer. Im Jahr 2021 setzte Orchestral Tools nach eigenen Angaben etwa 5 Millionen Euro um, knapp 50 Prozent mehr als im Vorjahr. „Es ist ein wachsender Markt“, sagt Schwarzer; er rechnet auch weiterhin mit einer positiven Entwicklung.

„Unsere Produkte kommen nicht nur in den großen Hollywood- oder Netflix-Produktionen zum Einsatz. Man denke nur an alle möglichen TV-Produktionen, Werbung, Trailer, Videospiele, Youtube-Videos und Radiobeiträge“, betont Schwarzer. Alles Videomaterial, das mit Ton unterlegt ist, greift potentiell auf Angebote wie denen von Orchestral Tools zurück.

Konkurrenz erhält Orchestral Tools vor allem durch das britische Unternehmen Spitfire Audio aus London und durch 8DIO aus San Francisco. Das Berliner Unternehmen Native Instruments gehört mit 400 Mitarbeitern ebenfalls zu den großen Spielern der Branche. Allerdings sei Native Instruments, anders als Orchestral Tools, weniger auf den Bereich der Orchestermusik spezialisiert, sondern biete Produkte verschiedener Genres an, mit dem Schwerpunkt elektronische Musik. Somit sei der Markt insgesamt relativ überschaubar. „Mit unserer Spezialisierung auf Orchestermusik sind wir im Bereich der Filmmusik einer der Marktführer“, führt Schwarzer aus.

Besonders außergewöhnlich wird es, wenn Schwarzer den russisch-deutschen Violinisten und Komponisten Aleksey Igudesman vor das Mikrofon bringt. Der unkonventionelle Virtuose, über den Hans Zimmer sagt, er sei seine Geheimwaffe, sucht ständig nach neuen, kreativen, noch nie dagewesenen Klängen auf seiner Violine. Dafür ersetzt Igudesman auch mal den Bogen durch einen selbst zusammengeschraubten Milchschäumer mit Plastikaufsatz. „Das klingt wie ein wild gewordenes Zupfinstrument; sowas bekommt man nirgendwo sonst“, berichtet der Musiker. Inspiration schöpft er vor allem aus Instrumenten verschiedenster Kulturen. „Klänge, Rhythmik, Spielweisen - die Musik anderer Kulturen ist so anregend“, findet Igudesman. In der Branche der Filmmusik sei Orchestral Tools eine echte Größe. „Das ist zu Recht eine der angesehensten Firmen in ihrem Bereich.“

Zwar bringe die digitale Musikkomposition entscheidende Vorteile mit sich. Allerdings stehe man dabei immer vor dem Problem, irreal und unnatürlich klingende Töne zu produzieren. „Ein Ton klingt bei Wiederholung in der Realität nie exakt gleich“, erklärt Schwarzer. Aus diesem Grund nehme man die Sounds in jeder erdenklichen Dynamik, Artikulation und Tonhöhe mehrfach auf. „So wirken unsere Sounds im späteren Arrangement dennoch lebendig.“ Diese Komplexität ist auch der Grund dafür, warum Aufnahmen viel Zeit benötigen. „Kürzere Projekte nehmen wir an einem Tag auf, also in neun Stunden Aufnahmezeit“, berichtet Schwarzer. „Wir haben allerdings auch schon einen Monat nur an der Aufnahme gesessen.“ So kommen Datenmengen von teilweise über 100 Gigabyte für ein Projekt zusammen.

An die Aufnahme schließt sich die Softwarebearbeitung an. „Die Nachbearbeitung ist meist das Aufwendigste“, erklärt der Geschäftsführer. Bei den Aufnahmen verwendet Orchestral Tools mehrere Mikrofone in unterschiedlichen Positionen. Da auch nur Aufnahmen aus einzelnen Mikrofonen gekauft werden können, muss jeder Ton aus jedem Mikrofon einzeln exportiert, bearbeitet und gegebenenfalls in der Stimmung verändert werden. Auch Nebengeräusche herauszufiltern ist Teil dieses Produktionsschrittes.

Der heute 35 Jahre alte Schwarzer ist selbst Pianist und Komponist. Im Alter von nur 16 Jahren führte er sein erstes selbstgeschriebenes symphonisches Orchesterwerk im größten Konzertsaal Freiburgs auf und gab danach einige Klavierkonzerte. Zwei Jahre später schmiss er mit seinem besten Kumpel Manfred Mantik die Schule und verkaufte zunächst Telefonansagen an Unternehmen. „Das lief nicht gerade blendend“, erinnert sich Schwarzer.

„In meinen frühen Zwanzigern habe ich dann Soundtracks und Musicals für den Europapark Rust komponiert.“ Diese werden auch heute noch genutzt. Auch einige Online-Spiele untermalte er musikalisch. Unzufrieden mit den damaligen technischen Möglichkeiten des digitalen Komponierens nahm Schwarzer daraufhin die Dinge selbst in die Hand und stellte aufgenommene Sounds online. „Ich komme also selber aus der Nutzerperspektive“, sagte er.

Zur Veröfffentlichung in der F.A.Z

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