Eine eine Handbreit dicke Acrylglasscheibe trennt die Besucher des Kölner Zoos von Flusspferd Jenny, 29 Jahre, und ihrem einjährigen Sohn Nils. Hergestellt hat sie die Heinz Fritz GmbH aus dem baden-württembergischen Herbrechtingen. Das in dritter Generation geführte Familienunternehmen beschäftigt 45Mitarbeiter und hat sich auf die Verarbeitung von Acrylglas beziehungsweise Plexiglas spezialisiert.
Doch die Einsatzgebiete dieses glasähnlichen Materials aus starkem, höchst transparentem Kunststoff beschränken sich nicht auf die XXL-Scheiben für Aquarien in Zoos. Zur Produktpalette gehören Vitrinen, Fassadenbauteile, Elemente für die Leuchtenindustrie sowie Bauteile als Schall- und Maschinenschutz. Hinzu kommen Scheiben für extravagante Pools, Druckkörper für Forschungs-U-Boote und außergewöhnliche Kunstobjekte.
Die Preisspanne liegt zwischen einem Euro für einfache Produkte wie Warentrenner und sechsstelligen Beträgen für individuelle Großprojekte. Dazu zählen die Ausstattung von Apple-Stores mit Beleuchtungsobjekten und ein aktuell in Paris ausgestelltes Kunstwerk des Schuhdesigners Christian Louboutin. Dabei handelt sich um einen fast zwei Meter großen Pumps, der aus einem Kristall herausgearbeitet zu sein scheint. „Der Designer wollte den Schuh zuerst aus reinem Kristallglas machen, was jedoch technisch nahezu unmöglich ist. Da bot sich Acrylglas an“, erzählt Jakob Sixl, Geschäftsführender Gesellschafter der Heinz Fritz GmbH. Über Empfehlungen kam der Auftrag schließlich nach Herbrechtingen. Die Verwirklichung der Vision dauerte unter anderem wegen der komplexen Oberfläche eines Kristalls ganze drei Monate. „Mit den heutigen Möglichkeiten gibt es kaum Limits mehr – man könnte auch die Sphinx aus Plexiglas herstellen“, sagt Sixl.
Ein weiteres Großprojekt war die Herstellung dreier langer Acrylglasscheiben für das brandenburgische Erlebnisbad „Spreewelten“. Eine ist nach Angaben des Bades die größte gebogene Acrylglasscheibe in Europa; sie ist 15,5 Meter lang und 3 Meter hoch. Steven Schwerdtner, Leiter der Marketingabteilung der Spreewelten, berichtet: „Bei dieser Scheibe nimmt man unter Wasser einfach keine Barrieren mehr wahr. Das Erlebnis ist überwältigend.“ Die Gäste fänden es sehr lustig, wie ihnen die Pinguine auf der anderen Seite begegneten. „Ein gemeinsames Spielen findet oft statt.“
Um solche Begegnungen zu ermöglichen, bedarf es einer hohen Materialkenntnis. Bei der Herstellung der Scheibe muss die unterschiedliche Wärmeausdehnung des Materials zu beiden Seiten des Beckens beachtet werden. Die thermische Expansion spielt auch bei der Lagerung der Materialien eine ganz zentrale Rolle. „Die Temperatur beträgt in unserer Lagerhalle konstant um die 20 Grad Celsius, so dass wir das Acrylglas direkt weiterverarbeiten können“, erklärt Sixl. Das sei sehr wichtig, da sonst der Zuschnitt der bis zu 220 Millimeter dicken Plexiglas-Blöcke nicht die erforderlichen Maße einhalte.
Gerade mit Blick auf diese dicken Materialien verschaffe die große Lagerhalle einen Wettbewerbsvorteil, da direkt mit der Arbeit begonnen werden könne – die Beschaffung des Materials falle weg. In der Halle werden Platten in den unterschiedlichsten Größen, Stärken, Farben und Optiken gelagert.
Darunter befinden sich neben Standardprodukten viele Raritäten wie Sonderanfertigungen und die eigenen Materialkreationen Transsatco, Transaqua und Transquieto. „Hier arbeiten wir sehr eng mit den Herstellern zusammen, die mit den von uns entworfenen und zur Verfügung gestellten Werkzeugen speziell für uns produzieren“, erzählt Sixl. Auf die Idee, eigene Marken zu etablieren, kam das Unternehmen durch den Kunden Triumph. Das Unternehmen hatte einen Wunsch, der mit Hilfe der auf dem Markt verfügbaren Materialien nicht verwirklicht werden konnte. Die Entwicklung von Transsatco, einem Acrylglas mit matter Oberfläche, dauerte dann nur wenige Monate.
Eine wesentlich längere Forschungszeit benötigte hingegen die Verbesserung eines speziellen Klebeverfahrens, nach Angaben von Heinz Fritz zwischen sechs und sieben Jahre. Die Verklebung von Acrylglas-Elementen ist nach dem Zuschneiden, Umformen, Fräsen und Drehen einer der letzten Schritte vor der Fertigstellung des Produkts. „Das Ziel ist, dass nachher niemand mehr erkennt, wie die Teile zusammengefügt wurden“, erläutert Geschäftsführer Sixl. Auch auf das Umformen des Acrylglases ist das Unternehmen spezialisiert. Das erfordert eine große Kraft- und Hitzeeinwirkung. Diese hohen Temperaturen werden in riesigen Öfen generiert, die bis zu fünf Meter hoch sind.
Man produziert auch Kugeldruckkörper aus Plexiglas für bemannte Forschungs-U-Boote, jedes Jahr etwa zwei bis drei Exemplare. In den Öfen werden zwei Halbkugeln gefertigt, die mit Hilfe des speziellen Klebeverfahrens zusammengefügt werden. Dabei erreiche man bei der Klebenaht mittlerweile eine Festigkeit von mehr als 90 Prozent des Ursprungsmaterials. Für die Herstellung braucht es viel Fachwissen, denn die Druckbelastung in einer Meerestiefe von tausend Metern beträgt extreme 120 Kilogramm je Quadratzentimeter.
Nach eigenen Angaben hat die Heinz Fritz GmbH mit einem maximalen Kugeldurchmesser von 2,55 Meter in diesem Bereich eine global führende Stellung errungen. Man beteiligte sich auch an der Herstellung der Fenster eines Weltrekord-U-Bootes, das den tiefsten Punkt der Erde, den Marianengraben im Pazifik, im Jahr 2019 erforschte. Das Unternehmen beliefert zudem regelmäßig Triton Submarines LLC in Florida. „Die Heinz Fritz GmbH hat proprietäre Verfahren zur Herstellung von Acrylkugeln entwickelt. Ihr Prozess führt zu den größten, dicksten, klarsten, stärksten und qualitativ hochwertigsten Acrylkugeln, die auf der Welt erhältlich sind“, berichtet Jarl Stromer von Triton Submarines. „Der Brechungsindex von Acrylkunststoff liegt sehr nahe an dem von Wasser. Wenn die Acrylkugel eintaucht, scheint sie zu verschwinden. Es wird die Illusion erzeugt, dass man die Unterwasser-Seelandschaft in einer Luftblase durchquert.“
Ihre Ursprünge hat die Heinz Fritz GmbH in Heidenheim, wo Heiner Fritz, der Vater von Heinz Fritz, 1950 das Unternehmen gründete. Im Jahr 1980 übernahm Heinz Fritz das Unternehmen. 1984 zog man in das nahe gelegene Herbrechtingen um. Im Jahr 2018 wurde Sixl Geschäftsführender Gesellschafter. Ko-Geschäftsführer Heinz Fritz sagt selbstbewusst: „Meistens haben unsere Kunden ein Problem, das noch niemand lösen konnte. Dann wenden sie sich an uns.“ Die Kunden sind auf der ganzen Welt verteilt. Der Umsatz beträgt rund 6Millionen Euro im Jahr, der internationale Anteil beläuft sich auf rund 20 Prozent. Rund 95 Prozent sind gewerbliche Aufträge. Man wolle mit den Kunden zusammen die Grenzen der Materialien immer weiter verschieben, sagt Sixl.
Sabine Hildebrandt, die Ehefrau von Heinz Fritz, sagt: „Wir sind ein Gemischtwarenladen.“ Sixl fügt hinzu: „Je mehr Standbeine man hat, umso schwieriger wird es umzufallen.“ Im 3D-Druck sehen die beiden Geschäftsführer derzeit keine Konkurrenz, da die Technik im Bereich hochtransparenter Kunststoffe noch nicht die gewünschten Materialeigenschaften wie Klarheit, Stabilität und Größe ermögliche.