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Die Sahnetorte gibt sich geschlagen

Das Traditionsunternehmen Coppenrath & Wiese verkauft millionenfach Tiefkühlkuchen. Spezialverfahren sorgen dafür, dass sie in Form bleiben.

F.A.Z.

4.08.2022

Han Nguyen

Max-Planck-Gymnasium Lahr, Lahr

An vielen Kindergeburtstagen wird die Benjamin-Blümchen-Torte angeschnitten. Die bekannte Sahne-Schoko-Erdbeertorte, die 1996 erstmals verkauft wurde, weckt  bei Jugendlichen und Erwachsenen Kindheitserinnerungen. „Man hat nie damit gerechnet, dass diese Torte mal diesen Kultstatus erreichen würde“, sagt Peter Schmidt, Geschäftsführer der 1975 entstandenen Conditorei Coppenrath & Wiese KG mit Hauptsitz in Mettingen.


Gegründet wurde die wohl bekannteste Tiefkühlkonditorei Deutschlands, die  inzwischen 3100 Mitarbeiter beschäftigt, von zwei Vettern, dem Konditor Josef Wiese und dem Kaufmann Aloys Coppenrath. Die Tochtergesellschaft Overnight Tiefkühl-Service GmbH, die in Osnabrück ansässig ist, wurde 1994 gegründet und ist nach eigener Aussage einer der führenden Anbieter für Tiefkühltransporte in Deutschland. Coppenrath und Wiese gehört  seit 2015 zur  Oetker-Gruppe,  ist nach eigenen Angaben aber immer noch familiär geprägt.

Im Allgemeinen ist die Kundschaft zwischen 30 und 75 Jahre alt.  Das Sortiment von Coppenrath & Wiese reicht von großen Sahnetorten bis hin zu kleineren Produkten wie Blechkuchen und  aufbackbaren Brötchen; es besteht aus   rund 100 Einzelartikeln. Neben traditionellen Torten wie Schokokuchen und  der Schwarzwälder Kirschtorte, die  seit 1977 Teil des Sortiments ist, bietet man auch moderne Torten wie den New York Cheesecake an. Man unterteilt die Produkte in verschiedene Kategorien, zum Beispiel nach Zutaten, Anlass oder ob die Produkte vegan oder laktosefrei sind. Das soll  dafür sorgen, „dass jeder für seinen Geldbeutel und seine geschmacklichen Vorlieben das Richtige findet“, sagt Dorothee Reiering-Böggemann, Marketingleiterin von Coppenrath & Wiese. Im Herbst dieses Jahres soll beispielsweise eine neue Linie an veganen Produkten auf den Markt gebracht werden.  

Vor der Marktreife steht ein  harter Ausleseprozess. Man orientiere sich  an Trends und der „customer journey“, dem Weg eines Kunden, bevor er das Produkt kauft, heißt es vom Unternehmen. Derzeit seien leichtere und fruchtigere Rezepturen zum Beispiel mit Cremes auf Quark- oder Joghurtbasis sehr beliebt. Solche  Trends greife man auf, etwa  mit dem im März herausgebrachten  Blechkuchen Pfirsich-Schmand oder dem  Kuchen Mango-Maracuja. 

Bäcker und Konditoren probieren die neuen Produkte und Varianten aus und lassen die Testprodukte dann verkosten.  Das gesamte Management probiert schließlich jeden Freitag um acht Uhr morgens die potentiellen Neuprodukte. „Als ich 2015 zu Coppenrath & Wiese kam, musste ich direkt fünf oder sechs Stücke von verschiedenen Sahnetorten essen“, erinnert sich Schmidt, „aber das ist wohl die Liebe zum Produkt.“ 

Probanden können  aber auch von Marktforschungsinstituten rekrutiert werden. Die Menschen werden auf der Straße angesprochen, oder sie haben sich schon vorher eingetragen. Kann sich ein Produkt durchsetzen, kommt es in die Produktion. Dort  werden technische Anlagen ausprobiert und gegebenenfalls neue Technik und neue Maschinen angewendet. Daher kann die Produktentwicklung auch mal zwei bis drei Jahre dauern. Bei kleineren Produkten oder einer neuen Sorte dauert der Prozess hingegen nur etwa ein Jahr. Man vertraut auch, wie Reiering-Böggemann berichtet, immer noch auf Handarbeit, beispielsweise wenn Torten mit Linien verziert werden. „Die Maschinen sind noch nicht so weit, dass sie filigrane Arbeit ausführen können“, sagt sie. 
Das Aufschlagen der Sahne wird jedoch maschinell ausgeführt. Der Unternehmensgründer Josef Wiese hat das Verfahren 1974 erfunden und so die Produktion von tiefgefrorenen Sahnetorten in großer Menge ermöglicht. Die Sahne wird in Rührgefäßen kontinuierlich aufgeschlagen, was zu einer gleichbleibenden Konsistenz auch nach dem Auftauen führt. Sahnetorten sind wegen Wieses Innovation, die noch heute angewandt und weiterentwickelt wird, die ersten Produkte im Sortiment gewesen. Das Verfahren ist nach eigenen Angaben jedoch nicht patentiert.

Schließlich wird allen Produkten ein Schockfrost verpasst. In den Spiralfrostern herrschen  arktische Temperaturen von minus 37 Grad und eine Windstärke von 12 Beaufort. So wird die äußere Schicht der Produkte in Sekundenschnelle versiegelt. Trotz der Luftbewegung bleiben die Produkte unversehrt. „Da braucht man keine Angst zu haben, sie behalten ihre optische Form bei“, sagt Schmidt. Große Sahnetorten brauchen ungefähr drei Stunden, bis sie eine Kerntemperatur von  minus 20 Grad erreichen. „Bei  kleineren Produkten ist der Einfrierprozess deutlich schneller“, berichtet Reiering-Böggemann. 

Im Vergleich zum normalen Einfrieren sind  die Produkte durch das Schockfrosten nach dem Auftauen nicht matschig, ihre Form bleibt erhalten. Geduld ist auch gefragt, wenn man die Sahnetorten auftaut. „Da muss man schon mal vier bis sechs Stunden warten“, sagt Schmidt.  

Erhältlich sind die Produkte von Coppenrath & Wiese in vielen  Supermärkten. Exportiert wird Reiering-Böggemann zufolge innerhalb Europas, aber auch weiter weg, zum Beispiel nach Australien.  Der Exportanteil am Gesamtumsatz beläuft sich auf etwa 20 Prozent. Zudem ist Coppenrath und Wiese nach  eigener Aussage mit 55 Prozent  Marktanteil Marktführer im Bereich Tiefkühl-Backwaren in Deutschland. Man erzielte 2021  nach eigenen Angaben einen Umsatz von 440 Millionen Euro. Konkurrenz im Bereich der Blechkuchen stellen  die Supermärkte Rewe und Kaufland mit ihren Handelsmarken „gut und günstig“ und „ja!“ dar. 

Brötchen verkauft das Unternehmen seit 25 Jahren. Brötchen und Blechkuchen kosten zwischen 1,70 und 5 Euro, Kuchen und größere Torten, die  1,8 Kilogramm wiegen, können bis zu 14 Euro kosten. Zu den beliebtesten Produkten zähle die Benjamin-Blümchen-Torte; sie sei im vergangenen Jahr  knapp 3 Millionen Mal verkauft worden.  Die Mandel-Bienenstich-Torte erreicht eine Verkaufszahl von  4,6 Millionen Stück. Vom  Topseller,  den Weizen- und Dinkelbrötchen, wurden rund 56 Millionen Packungen verkauft. 

Zu Beginn der Corona-Pandemie beobachtete man  eine Verschiebung im Sortiment hin zu kleineren Produkten.  Schmidt zufolge werden Torten im Zuge der Rückkehr zur  Normalität wieder vermehrt nachgefragt. Den Menschen sind persönliche Treffen und regelmäßiger Kontakt noch wichtiger geworden. „Wir wollen dazu beitragen und den Menschen einen schönen Moment bescheren“, sagt Reiering-Böggemann, denn eine große Torte isst man nicht allein. 
 

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