„Boa, ist das eklig“, sagten manche über ihre Arbeit, erzählt Josephin Hammer. Mit Patrick Hübner hat sie die Milk-Design Manufaktur GmbH in Strausberg nahe Berlin gegründet. Sie fertigen Schmuck aus Muttermilch. „Die Stillzeit ist eine sehr intensive Zeit für Mutter und Kind. Viele Mütter wünschen sich eine Erinnerung daran“, sagt Hammer. Der Schmuck werde individuell designt, und es würden neben der Muttermilch andere Naturmaterialien wie Haarsträhnen, zerbröselte Nabelschnurreste und Milchzähne verwendet. Eine Halskette mit einem Anhänger etwa in der Größe eines Zwei-Euro-Stücks sei das beliebteste Schmuckstück, sagt Hammer. Für Männer biete man Lederarmbänder und schlichte Ketten an. Inzwischen ist auch anderer Erinnerungsschmuck gefragt. So fertigt man Schmuck als Erinnerung an die Hochzeit, beispielsweise mit einem Stoffstück des Brautkleides. Fast die Hälfte des sechsstelligen Jahresumsatzes erziele man mit Trauerschmuck; dafür verwende man zum Beispiel Asche des geliebten Verstorbenen oder eine Haarsträhne.
Auf die Geschäftsidee kam Hammer 2017: „Damals ist mein Hund verstorben, und ich hatte das Bedürfnis, irgendetwas zu behalten.“ Sie habe recherchiert, wie man Felle aufbewahren könne, und sei auf die Idee gestoßen, Asche und Fell mit Harz zu konservieren. „Ich habe dann rumprobiert.“ Zu dieser Zeit habe eine Freundin entbunden und gefragt, ob sie auch Schmuck aus Muttermilch herstellen könne. „Die Schwierigkeit lag bei der Muttermilch vor allem darin, sie so zu konservieren, dass sie langfristig hält und nicht vergilbt oder verschimmelt“, erklärt Hammer.
Mittlerweile ist Milk-Design eine geschützte Marke. Auch die Fassungen stelle man selbst her, berichtet die ausgebildete Krankenschwester und Zahntechnikerin: „Ich habe mir das alles selbst angeeignet, dicke Bücher gewälzt, Kurse belegt.“ Den Trend zu Erinnerungsschmuck habe es damals schon seit rund zehn Jahren in den USA gegeben, aber „so richtig zu uns rübergeschwappt ist er erst in den vergangenen zwei, drei Jahren“, erzählt Hammer.
Für ein Schmuckstück braucht Hammer 15 bis 20 Milliliter Muttermilch. Diese werde zunächst in einem geheimen Spezialverfahren verarbeitet, man könne sie nicht direkt mit dem Harz, der als Grundstoff in jedem Schmuckstück verwendet werde, mischen. Ein 3-D-Drucker drucke zeitgleich eine Wachsfassung, die mit Gips eingegossen werde. „Das kommt dann in den Brennofen, erst dann kann ich wirklich den Schmuck gießen“, erklärt Hammer. Im Unternehmen arbeitet noch eine zweite Schmuckdesignerin.
Wenn die Fassung fertig sei, werde das Muttermilch-Harz-Gemisch oder Asche-Harz-Gemisch in die Form gegossen. Wenn es getrocknet sei, gestalte sie das Schmuckstück, indem sie zum Beispiel aus Haarsträhnen Initialen forme oder aus Nabelschnurplättchen Herzen lege.
Das Unternehmen bearbeitet 150 bis 200 Bestellungen im Monat. In der Regel halte ein Schmuckstück ein Leben lang. „Das Epoxidharz ist ein sehr stabiles Material. Es wird zum Beispiel auch für Fußböden verwendet“, erklärt Hammer. Die Preise für ein Schmuckstück aus Sterlingsilber beginnen bei 180 Euro, bei Echtgold liegen sie zwischen 560 und 2500 Euro. In den vergangenen Monaten sei die Nachfrage deutlich gestiegen; vor allem durch die Präsenz in den sozialen Medien sei man bekannter geworden, berichtet Hammer. „Ungefähr die Hälfte unserer Kunden kommt aus dem Ausland.“ Milk-Design bezeichnet sich als Marktführer in Deutschland. Konkurrenten seien vor allem ausländische Anbieter. In Deutschland gebe es „ungefähr in jedem zweiten Bundesland einen Kleinunternehmer“, der ebenfalls Erinnerungsschmuck herstelle.
Eine dieser Unternehmerinnen ist Cristina Rynio, Inhaberin von „Perlenstolz – Cristina Rynio“ in Mülheim an der Ruhr. „In meiner ersten Schwangerschaft bin ich auf den Muttermilchschmuck gestoßen“, erzählt Rynio. In ihrer Elternzeit habe sie mit der Hilfe ihres Mannes, der Materialwissenschaftler ist, experimentiert, bis sie das „perfekte“ Schmuckstück hatte. „Dann habe ich den Onlineshop aufgemacht.“ Auch sie nimmt eine stetig wachsende Nachfrage wahr. Rynio stellt jährlich gut 1000 Schmuckstücke her. Bei ihr kostet ein Schmuckstück im Durchschnitt 150 Euro.
Tammy Diener hat nach der Geburt ihres ersten Kindes bei einem Hersteller im Ausland einen Ring mit Muttermilch, Nabelschnur und Haaren ihres Kindes bestellt. „Der Ring ist total nachgegilbt. Man sieht die Nabelschnur und die Haare gar nicht mehr“, berichtet sie. Bei ihrem zweiten Kind bestellte sie bei Perlenstolz und ist mit der Qualität „sehr zufrieden“, genauso wie Stephanie Grassedonio, die sich eine Kette mit Haaren ihrer drei Kinder hat herstellen lassen. „Ein Schmuckstück, das alle meine drei Kinder verbindet, so etwas Persönliches und Individuelles gibt es kein zweites Mal“, sagt sie.
Rynio hatte mal eine Kundin, die sich schon lange ein Kind gewünscht hatte. „Sie saß immer auf ihrer Terrasse und hat einer Erdbeerpflanze beim Wachsen zugesehen – mit dem Gedanken im Kopf, dass auch so ein Kind in ihr wachsen könnte.“ Irgendwann sei sie schwanger geworden und wollte ein Schmuckstück mit einer Erdbeere anfertigen lassen. Bei Hammer bestellte mal ein Ehepaar, sie war Berlinerin, er stammte aus dem Ruhrgebiet. Um die beiden Regionen symbolisch zu verbinden, habe sie ein Schmuckstück aus einem Stück Berliner Mauer und Kohle aus dem Ruhrgebiet hergestellt. Besonders war auch der Auftrag eines Mannes aus der Gothic-Szene, der für seine Freundin einen Verlobungsring mit seinem Blut herstellen ließ.
Hammer möchte demnächst Dekorationsstücke zum Hinstellen anbieten, „für die, die nicht so gerne Schmuck tragen“. Rynio weiß noch nicht, ob sie ihr Unternehmen vergrößern will. Sie wolle ihre eigene Marke nicht durch das vorschnelle Einstellen von Mitarbeitern zerstören. „Wenn jemand nicht mit Herzblut dabei ist, dann wird es leider nicht gut.“