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Der Wunsch nach Erinnerung wird gestillt

Muttermilch, Nabelschnurteile und Haarsträhnen von Toten: Daraus stellt Milk-Design Schmuckstücke her

F.A.Z.

14.09.2023

Amelie Hofmann

Landgraf-Ludwigs-Gymnasium, Gießen

„Boa, ist das eklig“, sagten manche über ihre Arbeit, erzählt Josephin Hammer. Mit  Patrick Hübner hat sie die Milk-Design Manufaktur GmbH in  Strausberg nahe Berlin gegründet. Sie fertigen  Schmuck aus Muttermilch. „Die Stillzeit ist eine sehr intensive Zeit für Mutter und Kind. Viele Mütter wünschen sich eine Erinnerung daran“, sagt Hammer. Der Schmuck werde individuell designt, und es würden neben der Muttermilch andere Naturmaterialien wie Haarsträhnen, zerbröselte Nabelschnurreste und  Milchzähne verwendet.  Eine Halskette mit einem Anhänger etwa in der Größe eines Zwei-Euro-Stücks sei das beliebteste Schmuckstück, sagt  Hammer.  Für Männer biete man  Lederarmbänder und schlichte Ketten an. Inzwischen ist  auch anderer Erinnerungsschmuck gefragt. So fertigt man    Schmuck als Erinnerung an die Hochzeit,  beispielsweise mit einem Stoffstück des Brautkleides. Fast die Hälfte des  sechsstelligen Jahresumsatzes erziele man mit  Trauerschmuck;   dafür  verwende man zum Beispiel   Asche des geliebten Verstorbenen oder eine  Haarsträhne.

Auf die Geschäftsidee kam  Hammer 2017: „Damals ist mein Hund verstorben, und ich hatte das Bedürfnis, irgendetwas zu behalten.“ Sie habe recherchiert, wie man Felle aufbewahren könne, und sei auf die Idee gestoßen, Asche und Fell mit Harz zu konservieren.  „Ich habe dann rumprobiert.“ Zu dieser Zeit habe eine  Freundin entbunden und gefragt, ob sie auch Schmuck aus Muttermilch herstellen könne.  „Die Schwierigkeit lag bei der Muttermilch vor allem darin, sie so zu konservieren, dass sie langfristig hält und nicht vergilbt oder verschimmelt“, erklärt Hammer.

Mittlerweile ist Milk-Design eine geschützte Marke. Auch die  Fassungen stelle man  selbst her, berichtet  die ausgebildete  Krankenschwester und Zahntechnikerin: „Ich habe mir das alles selbst angeeignet, dicke Bücher gewälzt, Kurse belegt.“  Den Trend zu Erinnerungsschmuck habe  es damals schon seit rund zehn Jahren in den USA gegeben, aber „so richtig zu uns rübergeschwappt ist er erst in den vergangenen  zwei, drei Jahren“, erzählt Hammer.

Für ein Schmuckstück braucht Hammer 15 bis 20 Milliliter Muttermilch. Diese werde zunächst  in einem  geheimen Spezialverfahren verarbeitet,  man könne sie nicht direkt mit dem Harz, der als Grundstoff in jedem Schmuckstück verwendet werde, mischen. Ein 3-D-Drucker drucke zeitgleich eine Wachsfassung, die mit Gips eingegossen werde. „Das kommt dann in den Brennofen, erst dann kann ich wirklich den Schmuck gießen“, erklärt Hammer. Im Unternehmen arbeitet noch eine zweite Schmuckdesignerin.

Wenn die Fassung fertig sei, werde  das Muttermilch-Harz-Gemisch oder  Asche-Harz-Gemisch in die Form gegossen. Wenn es getrocknet sei,  gestalte sie das Schmuckstück,  indem sie zum Beispiel aus Haarsträhnen Initialen forme oder aus Nabelschnurplättchen Herzen lege. 

 Das Unternehmen bearbeitet 150 bis 200 Bestellungen im Monat. In der Regel halte   ein Schmuckstück ein Leben lang. „Das Epoxidharz ist ein sehr stabiles Material. Es wird zum Beispiel auch für Fußböden verwendet“, erklärt Hammer.  Die Preise für ein  Schmuckstück aus Sterlingsilber beginnen bei  180 Euro, bei Echtgold liegen sie zwischen  560 und  2500 Euro. In den vergangenen  Monaten sei die Nachfrage deutlich  gestiegen; vor allem durch die Präsenz in den sozialen Medien sei man bekannter geworden, berichtet Hammer. „Ungefähr die Hälfte unserer Kunden kommt aus dem Ausland.“ Milk-Design  bezeichnet sich  als Marktführer in Deutschland. Konkurrenten seien vor allem ausländische Anbieter.  In  Deutschland gebe es  „ungefähr in jedem zweiten Bundesland einen Kleinunternehmer“, der ebenfalls  Erinnerungsschmuck herstelle. 

Eine dieser  Unternehmerinnen ist Cristina Rynio, Inhaberin von „Perlenstolz – Cristina Rynio“ in Mülheim an der Ruhr. „In meiner ersten Schwangerschaft bin ich auf den Muttermilchschmuck gestoßen“, erzählt Rynio.  In ihrer Elternzeit habe sie mit der Hilfe ihres Mannes, der Materialwissenschaftler ist, experimentiert, bis sie das „perfekte“ Schmuckstück hatte. „Dann habe ich den Onlineshop aufgemacht.“ Auch sie nimmt   eine stetig wachsende Nachfrage wahr.  Rynio stellt  jährlich gut  1000 Schmuckstücke her.  Bei ihr kostet ein Schmuckstück im Durchschnitt 150 Euro.

Tammy Diener hat nach der Geburt ihres ersten Kindes   bei einem Hersteller im Ausland  einen Ring mit Muttermilch, Nabelschnur und Haaren ihres Kindes bestellt. „Der Ring ist total nachgegilbt. Man sieht die Nabelschnur und die Haare gar nicht mehr“, berichtet sie.  Bei ihrem zweiten Kind bestellte sie bei Perlenstolz und ist mit der  Qualität „sehr zufrieden“, genauso wie Stephanie Grassedonio,  die sich eine Kette mit Haaren ihrer drei Kinder hat herstellen lassen. „Ein Schmuckstück, das alle meine drei Kinder verbindet,  so etwas Persönliches und Individuelles gibt es kein zweites Mal“, sagt sie.

Rynio hatte mal  eine Kundin, die sich schon lange ein Kind gewünscht hatte. „Sie saß immer auf ihrer Terrasse und hat einer Erdbeerpflanze beim Wachsen zugesehen – mit dem Gedanken im Kopf, dass auch so ein Kind in ihr wachsen könnte.“ Irgendwann sei sie  schwanger geworden und wollte ein  Schmuckstück mit einer Erdbeere anfertigen lassen. Bei  Hammer bestellte mal ein  Ehepaar, sie war  Berlinerin, er stammte aus dem Ruhrgebiet.  Um die beiden Regionen symbolisch zu verbinden, habe sie ein Schmuckstück aus einem Stück Berliner Mauer und Kohle aus dem Ruhrgebiet hergestellt.   Besonders war  auch der Auftrag eines Mannes aus der Gothic-Szene,  der für seine Freundin einen Verlobungsring mit seinem Blut herstellen ließ.

Hammer möchte demnächst  Dekorationsstücke zum Hinstellen  anbieten, „für die, die nicht so gerne Schmuck tragen“.  Rynio weiß noch nicht, ob sie ihr Unternehmen  vergrößern will. Sie wolle ihre eigene Marke nicht durch das vorschnelle Einstellen von Mitarbeitern zerstören. „Wenn jemand nicht mit Herzblut dabei ist, dann wird es leider nicht gut.“

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