Mehr als 380 Millionen Schuhpaare werden in Deutschland jedes Jahr in den Müll geworfen, das sind fast 10000 Tonnen Abfall. Das Berliner Start-up Sneaker Rescue UG, das von dem 24-jährigen Hagen Matuszak gegründet wurde, versucht, etwas dagegen zu unternehmen und die Menschen für einen bewussteren Konsum zu begeistern. Es ist eigenen Angaben zufolge das erste deutsche Start-up, das sich komplett auf die Reparatur von Sneakern spezialisiert hat.
Im Jahr 2017 geht der junge Berliner Matuszak in die Schweiz, um Geld für sein erstes eigenes Geschäft zu verdienen. „Was genau es für eins werden sollte, war mir da noch gar nicht klar. Ich wusste nur, dass ich was Eigenes will, was Selbstgemachtes“, erzählt er. Matuszak ist gerade mit seiner Ausbildung als Orthopädieschuhmacher fertig, hat den gleichen Beruf wie sein Vater erlernt. Er sei irgendwie in den Beruf reingerutscht. Nun arbeitet er bei einem Orthopädieschuhmacher in der Schweiz.
Als er eines Tages völlig eingestaubt an der Schleifmaschine steht, fällt ihm auf: Es gibt niemanden, der Sneaker repariert, obwohl sie fast jeder trägt. Er habe schon früher selbst seine Sneaker repariert, und irgendwie sei dann die Idee entstanden. Zurück in Berlin gründet Matuszak im März 2018 Sneaker Rescue. Zwar gibt es hierzulande auch andere Unternehmen, die sich um die beliebten Treter kümmern, jedoch beschränken sich diese fast immer auf das Reinigen der Schuhe. Sneaker-Cleaner aus Kassel bietet als ein Unternehmen von wenigen neben dem Reinigungsservice auch das Reparieren von Kleinigkeiten an. Ansonsten gibt es außer Matuszak zurzeit niemanden in Deutschland, der sich ganz der Sneaker-Reparatur verschrieben hat.
Nachdem Matuszak ein Jahr lang die ihm anvertrauten Sneaker zunächst in einer Gemeinschaftswerkstatt im Berliner Viertel Pankow reparierte, tut er dies mittlerweile in seiner eigenen Werkstatt im Berliner Stadtbezirk Neukölln; vier Mitarbeiter helfen ihm dabei. „Wir wollen dem Konsum unserer Generation etwas entgegensetzen“, sagt Matuszak. „Indem wir Sneaker reparieren, können wir Müll vermeiden, während unsere Kunden länger etwas von ihren Schuhen haben.“
Sneaker Rescue hat schon mit Ethletic kooperiert, einer nachhaltigen Sneaker-Marke. Die Pflegeprodukte für die Sneaker kommen von dem Berliner Traditionsunternehmen Collonil, das genau wie Sneaker Rescue sehr auf Nachhaltigkeit achtet. „Wir wollen unser Business-to-Business-Geschäft noch weiter ausbauen und im DACH-Raum noch stärker vertreten sein“, sagt Matuszak. DACH steht für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Eines seiner Ziele ist es demnach, mit noch mehr nachhaltigen Unternehmen zu kooperieren und neue Läden und Werkstätten nicht nur in Deutschland, sondern auch in Österreich und der Schweiz zu eröffnen.
Ein großes Problem beim Retten von Sneakern sei, dass die großen Unternehmen das Originalmaterial nicht zur Verfügung stellten, bedauert Matuszak. So können spezielle Sohlen oft nicht mehr gerettet werden. Er würde deswegen gerne mit den großen Sportschuhherstellern zusammenarbeiten, auch wenn sein Anti-Wegwerf-Konzept den Konzepten der Schuhkonzerne eigentlich entgegensteht. Zurzeit muss er auf optisch ähnliches Material, möglichst von deutschen und nachhaltigen Herstellern, ausweichen.
Eine Reparatur kostet bei ihm im Durchschnitt 50 Euro. Eine Grundreinigung, die Imprägnierung und der Rückversand sind dabei im Preis inbegriffen. Die Erneuerung des Fersenbereichs, Linings genannt, kostet 35 Euro. Von einem Farbanstrich ab 50 Euro über eine Grundreinigung für 30 Euro bis hin zum abermaligen Verkleben der Sneaker ab 30 Euro können er und sein Team fast alles erneuern. Die untere Sohle mit dem Profil, auch Outsole genannt, wird für 40 Euro repariert. Auch sogenannte Patches, kleine Flicken aus Stoff, mit denen man offene Stellen am Schuh verschließen kann, können ab 15 Euro erworben werden.
Nur wenn der Charakter des Schuhs verändert werden würde, lehnt Matuszak eine Reparaturanfrage ab, die man Sneaker Rescue über Whatsapp oder Instagram zuschicken kann. Eine Anfrage ablehnen muss Matuszak oft auch dann, wenn sich schon zu viele Löcher im Originalstoff befinden und diese ohne größere Mengen an anderen Stoffen nicht mehr geschlossen werden können.
Außerdem können die „Free“-Sohle von Adidas und die „Boost“-Sohle von Nike nicht mehr gerettet werden, da beide aus einem speziell verarbeiteten Schaumstoff bestehen und weder Adidas noch Nike ihre Originale zur Verfügung stellen. Die alte Sohle könnte für Funktionszwecke zwar durch eine neue ersetzt werden, jedoch würde sich durch die optisch andere Sohle der Charakter der Schuhe stark verändern. Falls man aber ein Schuhspenderpaar mit einer passenden Sohle organisieren kann, bietet Matuszak an, die Sohlen ab 150 Euro zu wechseln, damit man die geliebten Sneaker weiterhin tragen kann. Wenn eine Reparatur möglich ist, bekommt man einen Kostenvoranschlag und entscheidet dann, ob man seine Sneaker einschicken möchte.
Sneaker Rescue erreicht seine Kunden unter anderem durch eine starke Social-Media-Präsenz. Diese seien ein Querschnitt der Gesellschaft, ließen sich aber grob in drei Gruppen unterteilen. Viele seien einfach Sneaker-Sammler, andere hätten eine emotionale Verbindung zu ihren Tretern aufgrund von Reisen und durchgetanzten Nächten und seien noch nicht bereit, sich von ihnen zu trennen. Einem großen Teil der Kundschaft liege aber vor allem der Aspekt der Nachhaltigkeit am Herzen.
Das gilt auch für Lara Plath, eine 27-jährige Studentin aus Osnabrück. Sie ist durch eine Dokumentation über Nachhaltigkeit und Verschwendung auf Sneaker Rescue aufmerksam geworden. „Ich fand die Idee direkt interessant, da ich kurz vorher meine Sneaker gewaschen hatte, sie sich dadurch etwas verzogen hatten und ich sie nicht mehr tragen konnte“, berichtet sie. Die eingeschickten Sneaker brauchten neues Fersenfutter, da das alte verrutscht war. Die Reparatur sei insgesamt sehr sorgfältig gewesen, sagt Plath. Jedoch wurde das alte Fersenfutter nicht herausgetrennt, und die Schuhe wurden ein wenig kleiner. Sneaker Rescue erklärte sich sofort bereit, das zu korrigieren, nachdem Plath sich deswegen gemeldet hatte. Schlussendlich war eine Korrektur aber doch nicht mehr nötig, und die junge Frau war zufrieden.
Die Sneaker hatte Plath ungetragen bei Kleiderkreisel erstanden, einer Online- Plattform zum Kaufen von Secondhand-kleidung und -schuhen. Dem ständigen Wegwerfen und Neukaufen steht die Studentin sehr kritisch gegenüber. „Vorher versuche ich, Dinge zu verkaufen, zu verschenken und zu reparieren.“
Der 21-jährige Georg Ernst, ein Fotograf aus Hamburg, ist erst vor kurzem auf Sneaker Rescue aufmerksam geworden und möchte seine Sneaker nun reparieren lassen. Er habe über Instagram von dem Start-up erfahren und sei sofort neugierig geworden, da er möglichst umweltbewusst lebe. Er habe sich aber noch nie Gedanken darüber gemacht, ob man Sneaker reparieren könne und habe sich immer wieder neue gekauft. „Es geht mir darum, die Ressourcen, die wir auf der Erde haben, zu schonen und meine Schuhe so lange zu nutzen, wie es mir möglich ist“, sagt Ernst. Außerdem sei es teurer, ein neues Paar zu kaufen, als die alten reparieren zu lassen.
Matuszak und seine Mitarbeiter haben die Corona-Pandemie bis jetzt ganz gut überstanden. Zurzeit kommt natürlich niemand in den kleinen Laden in Neukölln. „Da wir aber 90 Prozent unserer Kunden online generieren, können wir das relativ gut kompensieren.“ Reich werden er und sein Team sowieso nicht durch die Reparaturen. Im vergangenen Jahr konnten sie einen Umsatz zwischen 90.000 und 120.000 Euro verzeichnen, im laufenden Jahr sind zwischen 240.000 und 280.000 Euro geplant. „Ich möchte, dass jeder, der sich neue Sneaker kauft, weiß, dass er seine Sneaker erst bei Sneaker Rescue reparieren lassen kann, bevor sie zu früh in der Tonne landen“, sagt Matuszak.
Franka Maria Schlindwein
Landgraf-Ludwigs-Gymnasium, Gießen