Mit bloßem Auge kann man kaum erkennen, dass der Käse lebendig ist. Aber unter dem Mikroskop sieht man Tyrolichus casei, die Käsemilbe, die sich zu Tausenden auf dem Käse tummelt. Die Spinnentiere sind 0,45 bis 0,8 Millimeter klein, haben Kieferklauen und lange Haare auf dem Panzer. Die Würchwitzer Milbenkäse UG aus Zeitz in Sachsen-Anhalt stellt die kuriose Delikatesse seit der Gründung im Jahr 2006 her. „Es ist ein Hobby“, sagt Geschäftsführer Christian Schmelzer, der Theologie studiert hat. Sein Geschäftspartner Helmut Pöschel habe Milbenkäse schon länger für sich selbst hergestellt, in seiner Familie sei das Tradition gewesen. Millionäre sind die beiden nicht geworden, aber Milbionäre. „Der Umsatz beläuft sich auf unter 50 000 Euro im Jahr“, sagt Schmelzer.
Schon im Mittelalter stellte man Milbenkäse her – unwissentlich. „Die Menschen dachten, der Käse würde länger halten, wenn sie ihn in Brotmehl lagern“, erzählt Schmelzer. Doch im Brotmehl gab es viele Milben. Erst im 19. Jahrhundert fand man heraus: Käsemilben knabbern am Käse und fermentieren ihn durch ihren Speichel und ihre Ausscheidungen.
Die Produkte der Würchwitzer Manufaktur sind unterschiedlich schwer. „Da die Milben verschieden viel vom Käse abfressen, verkaufen wir den Käse pro Stück und nicht nach Gewicht“, berichtet Schmelzer. Ein Stück von 30 bis 50 Gramm kostet rund 10 Euro. Mancher Milbenkäse kostet sogar rund 100 Euro. „Es handelt sich um ganz alten Käse, der für bestimmte Kunden gereift wird“, erklärt Schmelzer. Der Käufer bekommt schätzungsweise 50 000 Milben zum Käse dazu.
Der Milbenkäse ist im Onlineshop und an ausgewählten Orten erhältlich, zum Beispiel in der Pfunds Molkerei in Dresden. Man exportiert nach eigener Aussage auch, vor allem nach Österreich und in die Schweiz. „Aufgrund der strengen Vorschriften dürfen wir zum Beispiel nicht in die USA liefern“, berichtet Schmelzer.
Pöschel stellt den Käse in Handarbeit her. Magerquark wird getrocknet und zerkrümelt. Gewürzt wird mit Kümmel, Salz und getrockneten Holunderblüten. Aus der Masse werden Rollen und Birnen geformt, die wieder getrocknet werden. Dann wird der Käse den Milben gegeben. Die selbst gezüchteten Winzlinge werden im Reiferaum in Munitionskisten aus unbehandeltem Holz verstaut. Eine Luftfeuchtigkeit von 100 Prozent, eine Temperatur von 15 Grad und Dunkelheit: So mag es die Käsemilbe am liebsten. 250 Millionen Tierchen arbeiten fleißig in einer Kiste, nicht nur Käsemilben, auch ein kleiner Prozentsatz an Mehlmilben und Hausstaubmilben.
„Wir füttern sie mit Roggenmehl, damit sie nicht den ganzen Käse wegfressen“, sagt Schmelzer. Täglich werden die Kisten geöffnet, der Käse gewendet, die Milben gepflegt. Aber nicht alles läuft glatt. „Mal reagieren die Milben anders, mal ist der Quark nicht ideal.“ Letzterer muss bio sein, sonst mögen ihn die Tierchen nicht. Ein weiteres Problem seien die vielen Auflagen und Vorschriften, sagt Schmelzer. Wenn er den Käse ins Labor nach Jena schickt, „kann das schon mal 900 Euro kosten“.
Zwischen 3000 und 5000 Stück des lebenden Käses produziert man nach eigener Aussage. In Europa sei man das einzige Unternehmen, das diesen Milbenkäse herstelle. Zu den Kunden zählen Chefköche, aber vor allem Privatpersonen, die durch das Fernsehen oder Mitmenschen vom Käse erfahren haben.
Bis der Käse reif für den Verzehr ist, können drei Monate vergehen. Der Rohkäse ist dann fast auf die Hälfte geschrumpft. Der Käse schmeckt wie ein Hartkäse, ist würzig und bitter. Vielen Kunden fällt die zitronige Note auf. „Der Zitronenduft, den man von einer Zitrone kennt, besteht aus einem guten Teil Citral beziehungsweise Neral“, sagt Michael Heethoff, Zoologe an der TU Darmstadt. Neral ist ein Wehrstoff, den die Milben absondern, um sich gegen Fressfeinde zu schützen oder wenn sie andere Gefahren wittern. „Wenn man die Tierchen mit dem Käse zusammen verspeist, versuchen sie sich im Mund noch mal zu wehren und geben ihr Neral ab. Wir nehmen das dann als zitronigen Geschmack wahr“, erklärt Heethoff.
Der Käse hält bis zu 30 Jahre. Zunächst ist er innen weiß und weich, kann nach einem Jahr jedoch schwarz und hart werden. Wer sich vor den Milben ekelt, kann die Kruste abschneiden, doch das nimmt den zitronigen Geschmack weg – und den Nervenkitzel.