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Das Dirndl ist nicht über alle Berge

Alpenatmosphäre in Gießen: Siggi Biermann verkauft Skandaltrachten und alles, was es für ein traditionelles Gewand braucht.

F.A.Z.

3.09.2020

Saskia Grölz

Landgraf-Ludwigs-Gymnasium, Gießen

Siggi Biermann hat im August 2008 in Gießen das Geschäft Siggis Skandaltrachten eröffnet. Sie hat eine Leidenschaft für alles Alpenländische. Lange vor der Eröffnung betrieb sie in einer nachgebauten Almhütte im heimischen Garten einen Handel mit Dirndln und Lederhosen. „Ein Trachtenhersteller aus München entwarf vor über 50 Jahren Trachten aus Leder und Leinen. Sie waren frecher und nicht traditionell“, erzählt Siggi. „Die Trachten- und Schützenvereine haben sich darüber aufgeregt: Dies sei ein Skandal.“ So entstand der Name Skandaltrachten.

„Den Namen hat mir ein Münchner nach seiner Geschäftsaufgabe geschenkt, da wir mit den ,Hüttenberger Maderln‘ während eines Auftritts bei Stefan Raab die Skandaltrachten trugen und unbeabsichtigt Werbung für die Münchner Skandaltrachten gemacht haben“, erinnert sich Siggi. Sie hat in Österreich das Jodeln gelernt. Aus einem von ihr geleiteten Kurs entstanden die „Hüttenberger Maderln“, die bis zu 80 Auftritte im Jahr hatten. Sie waren auch in Raabs Sendung.

Bei Siggi bekommt man alles für ein traditionelles Trachtengewand. „Das Geschäftslokal wurde von zwei waschechten Tiroler Kunsttischlern und Ladenbauern ausschließlich mit Naturholz zu einem einmalig charmant-rustikalen Ladenlokal mit Almhütten-Atmosphäre umgestaltet“, berichtet Siggi. Sie hat auch eine Sammlung alpenländischer Accessoires mit Museumscharakter, von Gemälden über Schmuck bis hin zu Gläsern und Geschirr. An den Wänden hängen Erinnerungsfotos an gemeinsame Auftritte unter anderen mit den Trenkwaldern und den Klostertalern und mit Hansi Hinterseer. Die Kapellen seien manchmal auf den Wegen zu ihren Auftritten bei ihr vorbeigekommen, sagt Siggi. „Sie haben sogar schon die Musikinstrumente aus dem Auto geholt und nur für mich ein Ständchen gespielt.“ Locker und flockig gehe es hier zu, erzählt eine Kundin. „Die Herren bekommen die Zeit der Anprobe mit Kaffee, Pralinen oder sogar einem Schnäpschen versüßt.“

„Zu meinem Kundenkreis gehören alle Altersklassen. Seit etwa zehn Jahren kommen immer mehr junge Leute“, sagt Siggi. Es würden mehr hochwertige Trachten gekauft. Der Trend gehe von der Kniebundhose zur kurzen Lederhose. „Die jungen Mädels wollen seit zwei Jahren immer edlere Stoffe, Spitzenschürzen, Spitzenblusen und Glitzer.“ Ein Girlie-Dirndl ist ein knieumspielendes, freches Dirndl für junge Mädchen, dieses bekommt man schon von 79 Euro an. Ein Dirndl aus hochwertigem Brokatstoff und Samt und mit einer Spitzenschürze kostet bis zu 300 Euro. Lederhosen erhält man ab 180 Euro.

Siggi hat auch die traditionellen Hessenkittel im Angebot, ein weit geschnittenes Hemd nur mit einem Schlitz zum leichteren Überziehen, aus Leinen in Royalblau mit weißer Stickerei. Sie erinnert sich an den „Hessentag“ 2016 in Herborn. „Drei junge Models sind bei einer Modenschau mit verschiedenfarbigen Hessenkitteln und Lederhosen im Zelt aufgetreten. Die 80-Jährigen waren total aus dem Häuschen, warfen ihre Krücken von sich und verhielten sich wie Teenager, so begeistert waren sie.“

Für eine Hochzeit von Eintracht-Frankfurt-Fans habe man eine Schürze aus einer Fahne des Vereins gefertigt, erinnert sich Siggi an einen besonderen Auftrag. Ein Bernhardiner bekam auf Wunsch seines Herrchens eine Lederhose. „Wir haben eine Kinderlederhose geändert. Sie bekam unten am Bauch einen Klettverschluss, und der Latz war auf dem Hunderücken.“

Auf vollen Touren läuft das Geschäft – in normalen Jahren – vor dem Wiesnfest in Pohlheim mit rund 30000 Besuchern und im Herbst vor den Oktoberfesten. „Der Umsatz ist seit Geschäftsbeginn 2008 gestiegen“, gibt Siggi Auskunft. Der Jahresumsatz liege im oberen fünfstelligen Bereich. Es gibt auch ein Geschäft in Berlin: „Hansi’s Skandaltrachten“. Es wird von August bis Mitte November von Siggis Sohn Johannes geführt.

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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