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Beim Jawort fliegen nicht nur die Fetzen

Manche Paare lassen an ihrer Hochzeit weiße Tauben aufsteigen. Ist das Tierquälerei?

F.A.Z.

4.11.2021

Jill Sadegholwad

Landgraf-Ludwigs-Gymnasium, Gießen

Mit weißen Tauben verbindet man Ruhe, Frieden, Treue und Turteln. Das  wünscht man sich auch in einer Ehe.  Nicht abwegig ist es deshalb, wenn man zu einer Hochzeit  weiße Tauben fliegen lässt. Und so gibt es Taubenzüchter, die weiße Tauben verleihen – um genau zu sein: Brieftauben. „Sie können Distanzen von mehreren Hundert Kilometern in einer Geschwindigkeit von bis zu 120 Stundenkilometern zurücklegen“, schreibt der Verband Deutscher Brieftaubenzüchter. Die Tiere schaffen das, weil sie sich am Ma­gnetfeld der Erde orientieren  und  sie trainiert werden. Sie werden  ihrem Heimatschlag   entnommen und immer weiter davon entfernt ausgesetzt. „Auf diese Weise lernen sie nicht nur, sich an dem Ma­gnetfeld der Erde zu orientieren, sondern auch sich an Bäume, Berge und sogar Gerüche der Umgebung zu erinnern und dadurch nach Hause zu finden“, erklärt  der Brieftaubenzüchter Christian Wilhelm aus Heusenstamm. 

Für eine Hochzeit  werden die Tiere  zum Beispiel in einen herzförmigen Korb gesperrt und nach dem Treueschwur des Brautpaares freigelassen. Üblicherweise seien es zehn bis zwölf Tiere, berichtet   Wilhelm, der seit 15 Jahren weiße Hochzeitstauben verleiht. Bei dieser Anzahl entstünden  ein   „Wow“-Effekt  und ein schönes Flugbild.  Für 150 Euro bekommt man zwölf Tauben in einem Herzkorb, eine weiße Feder und ein Gedicht.    

Man darf die Tiere nur bei geeignetem Wetter fliegen lassen. Bei kaltem Wetter, Regen, starkem Nebel oder in der Dunkelheit finden die Tauben ihren Weg nach Hause nicht mehr. Sie verhungern oder werden  gefressen. Nach Angaben des Verleihs Weisse Tauben Rhein Main Nahe  können sich die Tauben bei diesen Wetterverhältnissen  schlecht am Magnetfeld der Erde orientieren. Deshalb ist das Verleihen der weißen Hochzeitstauben ein saisonales Geschäft.  Der Verleih Hochzeitstauben  Heusenstamm  lässt seine Tauben zum Beispiel hauptsächlich von April bis Oktober fliegen. In der Wintersaison lassen sie die Tauben  nur weniger als die üblichen 60 bis 70 Kilometer fliegen. 

Die Tierschützer von PETA Deutschland bezeichnen den Einsatz  von Hochzeitstauben als Tierquälerei. In einem Artikel  beschreiben sie das Ganze als  „erheblichen Stress für die sogenannten Hochzeitstauben“.  Wilhelm sagt jedoch:  „Unsere Tauben profitieren extrem von diesem Training; sie schärfen ihren Orientierungssinn.“ Wichtig ist, gut trainierte und seriös gezüchtete Brieftauben einzusetzen und nicht Rassetauben, Lachtauben oder Pfautauben, die nicht über einen   guten Orientierungssinn verfügen. Allerdings kann ein Laie sie nicht von Brieftauben unterscheiden, weshalb auch  unseriöse Geschäftemacher Hochzeitstauben verleihen.

Laut Wilhelm „gehen zwar auch mal Tauben verloren, diese Anzahl ist bei einer artgerechten Haltung jedoch verschwindend gering“. Lasse  man die Tiere   nur 60 bis 70 Kilometer fliegen, „werden die Tauben fast gar keinem Risiko ausgesetzt, von anderen Vögeln gefressen zu werden oder aufgrund der Kälte oder Dunkelheit in der Wildnis zu verenden“. Das seien zudem meist Tiere, die an Altersschwäche litten.

 Bei seriös gezüchteten Brieftauben habe „jede Taube ihren Personalausweis am Fuß“, erklärt   Wilhelm. Das ist ein kleiner Ring, auf dem eine  Nummer steht, mit der man den Halter oder Züchter identifizieren kann. Auf Taubendienst.de sind mit rund 160 Taubenverleihen fast alle seriösen und offiziell anerkannten Taubendienste Deutschlands aufgelistet.

Wilhelm hat seit 15 Jahren ein Nebengewerbe angemeldet und verleiht seitdem  Brieftauben für Hochzeiten. Der Umsatz ist nicht hoch genug, um davon zu leben. In den vergangenen fünf  Jahren betrug sein Jahresumsatz zwischen 18 000 und 20 000 Euro. „Die Unternehmen, die es seriös anbieten, haben das eigentlich alle als Kleingewerbe angemeldet.“ 

Brautpaare buchen die Tauben, manchmal auch Familienmitglieder oder Freunde. Der Trend gehe jedoch weg von den Tauben und hin zum Drumherum, berichtet Wilhelm. Viele Paare buchen zusätzlich  Ballons, einen Sektempfang, Konfetti, einen eleganten roten Teppich. Ihre Hochzeit soll  pompös und prunkvoll sein.

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

Jill Sadegholwad

Landgraf-Ludwigs-Gymnasium, Gießen

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