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Alles fliest

Wer nach Fliesen aus vergangenen Kollektionen sucht, dürfte sie bei den Schitteks finden. In ihrem Lager befinden sich 7 Millionen Stück.

F.A.Z.

6.10.2022

Bennet Fischer

Gymnasium Corveystraße, Hamburg

Statistisch gesehen, bricht in Deutschland alle drei Minuten ein Wasserrohr“, sagt Jan Schittek, einer der Geschäftsführer des gleichnamigen Fliesenhandels. Oft passiert das in der Küche oder im Badezimmer.  Die Folgen sind aufgestemmte Wände und  kaputte Fliesen. Meistens  seien die Fliesenkollektionen jedoch  nur noch zwei Jahre am Markt verfügbar, sagt Schittek. Die alten Fliesen  verschwänden – allerdings nicht für immer, denn die Fliesenhandel Schittek GmbH aus Hamburg verkauft alte Fliesen. Nach Angaben der Geschäftsführer Jan und Felix Schittek hat das Unternehmen über die vergangenen  Jahrzehnte rund 7 Millionen Fliesen,  etwa 70 000 verschiedene Arten an Fliesen, eingelagert. Die Wahrscheinlichkeit, nicht mehr im Geschäft erhältliche  Fliesen nachkaufen zu können, ist damit hoch.    

Im Jahr 1978 gründete Konrad Schittek  eine Fliesenmanufaktur in Hamburg-Altona,   der künstlerische Aspekt stand im Vordergrund. Dass die Schitteks heute  Fliesen kaufen und nicht mehr herstellen,  liegt an einer Wohnzeitschrift, die über die Manufaktur berichtete. In dem Artikel wurde fälschlicherweise geschrieben, dass Konrad Schittek jede beliebige Fliese nachmachen könne.  In der Folge konnte sich der kleine Laden vor Anfragen  kaum retten.  Im Jahr 1988 schloss man  dann diese Marktlücke. 

Mittlerweile habe man  eine einzigartige Stellung auf dem  deutschen Fliesenmarkt,  sagt Jan Schittek. Nach eigenen Angaben erzielte das Unternehmen im Jahr 2021 einen Umsatz von 4 Millionen Euro, im  Jahr zuvor waren es 3,68 Millionen Euro gewesen. „Wir kennen den ganzen Fliesenmarkt von 1900 bis heute in Deutschland“, betont Schittek.  

Ihr Lager sei einmalig und in Fachkreisen in ganz Deutschland bekannt, berichten die  Geschäftsführer. Es gebe  auch andere  Unternehmen, die  alte Fliesen aufkauften und einlagerten. „Diese sind aber nicht vergleichbar, denn sie sind kleiner und machen noch Verlegungen oder handeln mit Neufliesen“, erklärt  Jan Schittek. Er und sein Bruder Felix führen das  Familienunternehmen  seit 2014 in zweiter Generation. Sie beschäftigen  21 Mitarbeiter.   Man wachse   langsam, aber stetig, sagt Schittek.  2019 verkaufte man nach eigenen Angaben  rund 234 000 Fliesen.   Im darauf folgenden Jahr seien es  etwa 264 000  und im vergangenen  Jahr  knapp 287 000 Stück gewesen. 

Neue Fliesen würden in geringerer Stückzahl, dafür in mehr Varianten und Sorten produziert, was das Einlagern und Archivieren komplexer mache, betont Felix Schittek. „Das ist ein Geschäftsmodell mit unendlichem Wachstum, denn es wird nicht aufgehört, Fliesen zu produzieren und Häuser zu bauen“, sagt  Jan Schittek.

 Die meisten Mitarbeiter sind Quereinsteiger. Um das ganze Lager zu kennen und das System der Einlagerung zu verstehen, brauche man ein halbes bis ganzes Jahr, erläutert Jan Schittek.

Die Fliesen werden aus  ganz Deutschland  und zum Teil  aus dem Ausland beschafft. In den meisten Fällen werden Restbestände bei Großhändlern und Fachgeschäften erworben. Immer öfter kauft man von  Baumärkten für einen Restpostenpreis.  Würden die Schitteks die Fliesen nicht aufkaufen, landeten sie auf dem Müll, für die Entsorgung müsste noch relativ viel gezahlt werden. Beide Seiten profitieren also von diesem Geschäft, weshalb sich die Schitteks  keine Sorgen machen, dass der Nachschub an Fliesen irgendwann ausbleibt. Nicht selten komme es  auch vor, dass Privatleute kistenweise Altfliesen vom Dachboden oder aus dem Keller vorbeibrächten  und spendeten.  Denn auch sie müssten für eine Entsorgung zahlen.

In den meisten Fällen handelt es sich bei Rohrbrüchen um Versicherungsschäden, weshalb dann die Versicherung oder auch  Schadensanierungs-Fachfirmen Kunden der Schitteks sind. Die Geschäftskunden machen einen Anteil von zwei Dritteln bis drei Vierteln aus.  Um den Kunden die exakt richtige Fliese anbieten zu können, muss immer ein Musterstück vorhanden sein. Diese kommen meistens per Post, oder Kunden kommen persönlich an den Tresen und zeigen ihre kaputte Fliese. Im Idealfall bekommen sie die gewünschte Fliese nach 10 Minuten mit, oder sie wird per Post zugeschickt. „Unsere Trefferquote ist sehr groß, sie liegt bei 75 bis 80 Prozent“, sagt Felix Schittek. Manchmal müssen die Schitteks aber auch Kunden absagen, weil sie  die passende Fliese nicht finden können; dann kann  in vielen Fällen aber eine Alternative angeboten werden. Der wohl bekannteste Kunde  ist bisher der frühere Fußballspieler Uwe Seeler gewesen, der mit seiner kaputten Fliese persönlich vorbeikam und nach einer neuen Fliese für seine Dusche fragte.  Die Mitarbeiter konnten dem ehemaligen Kapitän der Fußballnationalmannschaft die passende Fliese mitgeben.

 Der Preis für die Fliesen ist nicht abhängig von der Epoche, dem Gewicht oder dem Alter, sondern  nur von der  Größe. Der Preis für einen Quadratmeter Fliese liegt bei etwa  260 Euro. Kleinere Fliesen sind günstiger als größere. Doch es gibt  Ausnahmen: Fliesen aus der Jahrhundertwende sowie Sammlerstücke sind  teurer als die Standardfliesen. Allerdings werden Fliesen aus der Jahrhundertwende in der Regel nicht für Reparaturzwecke verkauft und wenn doch, handelt es sich meistens um historische  Gebäude.

Die  Schitteks kennen sich auch auf dem aktuellen Fliesenmarkt aus.  Größere Fliesen würden immer  populärer, sagt  Felix Schittek. Die  Standardgröße betrage inzwischen 30 mal 60 Zentimeter.  Außerdem gebe es einen  Trend zur Nachahmung von Naturmaterialien;  mitunter sei  auf den ersten Blick nicht zu erkennen, ob es eine Fliese sei oder ein Naturmaterial wie  Holz oder Stein.

In der Fliesenproduktion wird viel Energie verbraucht,  denn Fliesen werden   in großen Öfen mit Gas bei mehr als  1000 Grad Celsius gebrannt. So ist es nicht nur billiger, einen Teil der Fliesen zu erneuern, sondern auch klimafreundlicher. Derzeit verschärft die Gasknappheit die Lage.  Die Öfen in den Fabriken könnten  abgeschaltet werden. Ihrem  Unternehmen drohe hingegen  in näherer Zukunft keine Materialknappheit. „Alles, was wir einkaufen, ist schon produziert worden“, betont Felix Schittek. Derzeit lassen die Brüder eine dritte Lagerhalle bauen.

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