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Alles dreht sich ums eigene Haus

Eine Zimmerei aus Hessen baut Häuser, die sich um die eigene Achse bewegen. Das spart Energie, erzeugt schönes Licht – und kann auch beim Grillen vorteilhaft sein.

F.A.Z.

7.05.2021

Lennart Wehrum

Landgraf-Ludwigs-Gymnasium, Gießen

Dieses Haus im mittelhessischen Heuchelheim ist schon wegen seiner runden Form ungewöhnlich. Verweilt man einige Minuten davor, erkennt man die wahre Besonderheit: Das Haus bewegt sich. Etwa alle fünf Minuten dreht es sich um ein paar Zentimeter weiter und folgt so dem Lauf der Sonne. „Ich kann die Sonne nicht an- und ausschalten, aber ich kann sie zumindest bestmöglich nutzen, wenn sie da ist“, sagt Christopher Rinn. Der Geschäftsführer der Rinn XI. GmbH, der den Zimmereibetrieb in vierter Generation führt, ist stolz auf die Drehhäuser in der kleinen Gemeinde an der Lahn, die er gerne als das „Welt-Drehhaus-Zentrum“ bezeichnet.

Bisher hat man drei solcher Häuser in Heuchelheim und eines im fränkischen Rödental gebaut. Ein fünftes Projekt befindet sich in der Planung. Die Drehhäuser bilden allerdings nur einen Teilbereich des Unternehmens, das auf eine mehr als hundertjährige Geschichte im Bereich Holzbau blickt. Sie seien aber, wie Rinn anmerkt, das Steckenpferd des Betriebs und eine Herzensangelegenheit.

Die Idee zu einem drehbaren Gebäude hatte sein Vater Heinrich Rinn, ebenfalls Zimmermann, als er in den neunziger Jahren ein Haus für sich und seine Frau bauen wollte. Er hatte erkannt, dass wegen der Ressourcenknappheit ein Umdenken im Gebäudebau stattfinden musste. Ihm war wichtig, dass das Drehhaus mithilfe von Sonne und Regen energieautark war und man bezüglich Gestaltung und Nutzung keine Einschränkung hinnehmen musste. Sohn Christopher schmunzelt, wenn er an den Baubeginn 1996 zurückdenkt. „Am Anfang haben uns die Nachbarn alle für verrückt erklärt.“ Auch seine Mutter sei zunächst skeptisch gewesen. „Aber nach ein paar Wochen hat sie gesagt: ,Aus diesem Haus tragt ihr mich nur noch raus.‘“

Die Bauart der Gebäude wurde dann in jeder Generation weiter verbessert, beispielsweise im Hinblick auf den hölzernen Drehkranz, auf dem das ganze Haus aufgebaut ist. „Man kann sich das vorstellen wie einen großen Pilz aus Holz, der auf einem Kugellager sitzt“, erklärt Rinn. Dies erlaubt eine sehr leichte Drehbarkeit des ganzen Gebäudes durch einen nur 180 Watt starken Elektromotor. Eine vollständige Umdrehung dauert etwa eine halbe Stunde. Wer es schweißtreibender mag, für den bietet das Unternehmen an, einen Heimtrainer einzubauen, mit dem das Haus auch allein mit Muskelkraft bewegt werden kann.

Die älteren Drehhäuser lassen sich, um Verwicklungen in den Leitungen zu vermeiden, nur um etwa 350 Grad drehen; danach müssen sie wieder in die entgegengesetzte Richtung bis zum Ausgangspunkt bewegt werden. In der aktuellen Bauvariante wurde dieses technische Problem behoben, eine unbegrenzte Drehung ist möglich. Das mache ihr Drehhaus-System einmalig auf der Welt, heißt es von der Firma Rinn.

Im Normalbetrieb wird die Drehung des Hauses von einer vollautomatischen Steuerung übernommen, die sich nach dem Sonnenstand richtet. Das Gebäude hat eine „Lichtseite“ mit großen Panoramafenstern und eine „Schattenseite“ mit wenigen kleineren Fenstern. Folgt die Lichtseite dem Lauf der Sonne, kann die Wärmeenergie den ganzen Tag über ins Innere gelangen und dort gespeichert werden. „Bei einem normalen Haus hätte ich mit solch großen Fenstern häufig mehr Energieverluste als -gewinne, da sie nur wenige Stunden am Tag in der Sonne liegen. Bei unserem Drehhaus ist das anders“, sagt Rinn. Durch die besondere Dämmung als Passivhaus wird dieser Effekt noch verstärkt. Somit wird die Sonnenenergie effektiv als Heizung genutzt, und die Heizkosten sinken deutlich.

An heißen Sommertagen ist es aber ebenso möglich, die Schattenseite des Hauses in die Sonne zu stellen, um so die Temperatur im Innenraum niedrig zu halten. Gleichzeitig produziert das Haus mit Photovoltaik-Modulen und Sonnenkollektoren auf dem Dach Strom und heißes Wasser. Damit kann es sich nicht nur komplett selbst mit Energie versorgen, sondern es erzeugt auch einen Überschuss, mit dem beispielsweise ein Elektroauto geladen werden kann.

Für Rinn ist die gute Ökobilanz gar nicht mal der größte Vorteil des innovativen Holzhauses. Vielmehr schätzten die Bewohner vor allem die optimale Belichtung der Räume, die fast dem Tageslicht im Freien entspreche. Dies wirke sich positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden aus. Besonders deutlich wird dieser Fokus auf das Licht beim neuesten Drehhaus, das Rinn gerade mit seiner Frau bezogen hat. Auffallend ist die große Glasfront auf der Sonnenseite, die sich über zwei Stockwerke erstreckt. „Im Inneren haben wir die Räume ganz bewusst offen gestaltet, damit das Licht auch bis in den hinteren Teil des Gebäudes dringt“, führt der Bauherr aus. Überhaupt hat man viel Wert auf optische Effekte und Sichtachsen gelegt.

Ulrich Würtele lebt seit2017 in einem der Drehhäuser in Heuchelheim. „In einem normalen Haus bräuchte man zwei oder drei Balkone, um immer in der Sonne zu sein, hier reicht uns einer“, sagt der Hotelier. Die meisten Besucher seien zunächst etwas verwundert, wenn das Haus leicht ruckartig anfahre oder abbremse. Er merke das aber fast gar nicht mehr. Im Alltag erweist sich neben der automatischen Drehung auch die manuelle Steuerung über Smartphone oder Fernbedienung als praktisch. Würtele nutzt das beispielsweise beim Grillen, um die Terrasse samt Grill auf die windabgewandte Seite zu bewegen. Mit der modernen Technik lässt sich das Haus auch von unterwegs in die gewünschte Stellung bringen.

„Und wenn der Nachbar mich mal stört, dreh ich mich ganz bequem auf die andere Seite“, sagt Rinn. Als er das zweite Drehhaus im Jahr 2011 zum ersten Mal bewegte, war die Verwunderung bei den Kunden eines Supermarktes nebenan groß. „Die Leute konnten erst gar nicht glauben, dass sie da plötzlich ein anderes Haus sahen als noch vor zehn Minuten.“

Als winzige Nachteile seines Hauses nennt Würtele den außen liegenden Kellereingang und den engen Schnitt mancher Räume. Dies sei der besonderen Bauweise geschuldet, die für ein drehbares Gebäude nun mal nötig sei.

Das Drehhaus stößt laut Rinn auf großes Interesse. Was viele aber abschrecke, sei der relativ hohe Kaufpreis. Dieser liegt je nach Anfertigung meist gut 100.000 Euro höher als der Preis eines vergleichbaren Gebäudes ohne Drehbarkeit. Einzurechnen sind jedoch die geringeren Energiekosten. Das Drehhaus-Geschäft allein sei noch nicht rentabel.

Lennart Wehrum

Landgraf-Ludwigs-Gymnasium, Gießen

 

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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