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Ach, du heiliger Bimbam!

In Italien befindet sich die älteste Glockengießerei der Welt. Ihre Produkte tragen das päpstliche Siegel. Doch die Zeiten sind schwierig.

F.A.Z.

6.04.2023

Sara Knezevic-Culibrk

Wittelsbacher-Gymnasium, München

Agnone ist ein 5000-Seelen-Örtchen in der italienischen Region Molise; dort befindet sich die berühmte  päpstliche Glockengießerei Marinelli. Die ältesten schriftlichen Nachweise ihres Bestehens gehen bis ins Jahr 1339 zurück, in dem Nicodemus Marinelli eine 200 Kilogramm schwere Glocke gegossen und si­gniert hat. Seitdem existiert die Gießerei ohne Unterbrechung und unter gleichem Namen. Sie ist die älteste Glockengießerei der Welt und das älteste Familienunternehmen in Italien. Wie konnte man   so lange überleben?   Die Marinelli-Brüder Pasquale und Armando, die das Unternehmen  in 26. Generation führen, haben   eine klare  Antwort:  Passion und Mission haben das Unternehmen am Leben erhalten. Ihren Beruf  üben sie mit Hingabe aus.  

 Computer sucht man in der Gießerei  vergebens; dafür findet man dort viel  mittelalterliches Werkzeug, das  noch heute bei der Herstellung der Glocken verwendet wird. Die Marinelli-Brüder beschäftigen bis zu 40 Mitarbeiter, etwa ein Dutzend  in der Glockengießerei. Jährlich gießen sie bis zu 40 Glocken. Die Produktionszeit  beträgt  drei bis sechs Monate;  jede Glocke ist handgefertigt. „Marinelli-Glocken sind keine Massenware, sondern Individuen mit einer Seele und eigenem Charakter“, sagt  Armando Marinelli. „Die Geburt einer Glocke ist ein besonderer, ein heiliger Moment.“ 

Die  Glocken haben  einen  unverwechselbaren Klang.  Sie sind zudem  mit kunstvollen Verzierungen versehen, die als Zeitdokumente dienen. Und sie tragen seit 1924 das begehrte päpstliche Siegel, verliehen von Papst Pius XI. für besondere Verdienste und Qualität. 

„Die Stärke unseres Familienunternehmens liegt nicht in technologischen Innovationen, sondern in der Bewahrung der Tradition eines hoch spezialisierten Handwerksbetriebs“, sagt Pasquale Marinelli.  „Unser Ziel sind keine schnellen Geschäfte, sondern so weiterzumachen wie seit Jahrhunderten.“ Die größte Nachfrage bestehe  auf dem heimischen Markt, auch wenn sie durch die wirtschaftliche Krise gedämpft werde. „Die Kirchengemeinden müssen sparen und schieben aus wirtschaftlichen Gründen den Kauf einer Glocke auf“, erzählt Ar­mando Marinelli.

Man ist verstärkt auf der Suche nach Absatzmärkten im Ausland, auch in Deutschland, wo die Konkurrenz allerdings größer sei als in vielen anderen Ländern. „Die Glocken- und Kunstgießereien in Deutschland sind Avantgarde und haben einen guten Ruf“, erklärt Armando Marinelli. „Es ist also nicht leicht für uns, auf dem deutschen Markt Fuß zu fassen.“ Der Ruf als älteste Glockengießerei der Welt helfe, ebenso wie die guten Referenzen der  Kunden.

 Dank Internet kann  das Unternehmen auf der ganzen Welt auf sich aufmerksam machen, was Wirkungen zeige. Vor allem die Nachfrage aus Übersee habe den Rückgang der Aufträge in Italien weitgehend ausgeglichen. Mittlerweile gehe jede zweite Glocke ins Ausland. Die Glocken aus Agnone findet man   in Italien zum Beispiel im Vatikan, in Assisi, und im Schiefen Turm von Pisa. Sie läuten im Gebäude der Vereinten Nationen in New York, in Peking, Jerusalem, Südamerika, Südkorea und Thailand. Die  Marinelli-Brüder sind auch Ansprechpartner renommierter Restauratoren, Musiker, Wissenschaftler und Architekten. 

Die schlechte Wirtschaftslage in Italien, die Corona-Pandemie und der  Krieg in der Ukraine machen den Marinellis zu schaffen.  Sei es dem Unternehmen vor der Corona-Pandemie noch sehr gut gegangen, so müssten sie heute härter denn je  um Aufträge kämpfen, sagt Armando Marinelli. Der Export werde eine immer größere Rolle spielen, um das Überleben des Betriebs zu sichern.

Die Preise der  Glocken hängen von vielen Faktoren ab, vor allem  von der Größe und  den  Wünschen der  Auftraggeber. Marinelli-Glocken bestehen zu 78 Prozent aus Kupfer und zu 22 Prozent aus Zinn, sodass der aktuelle Kupfer- und Zinnmarktpreis eine große Rolle spielen.

 Laut Armando Marinelli setzte sich der Preis bis 2015 aus  25 Prozent Materialkosten, 50 Prozent Arbeitskosten und 25 Prozent Gewinn zusammen. Eine Pfarrei in einem Ort mit 10.000 Einwohnern habe für eine Glocke mit einem Durchmesser von 70 Zentimetern und einer Höhe zwischen 45 und 60 Zentimetern inklusive Montage und Toneinstellung rund  30.000 Euro bezahlt.   Nach der Corona-Pandemie und vor allem seit Kriegsbeginn in der Ukraine seien die Energie- und Materialkosten um ein Dreifaches gestiegen, was dazu geführt habe, dass man die Preise verdoppelte, um keinen Verlust zu machen.

Heute setze sich der Preis aus 75 Prozent Materialkosten und 25 Prozent  Arbeitskosten  zusammen. Im vergangenen Jahr habe man einen Umsatz von rund 500.000 Euro erzielt, sagt Armando Marinelli. Das sei weit weniger als der durchschnittliche Jahresumsatz der vorherigen Jahre, als der Erlös im niedrigen einstelligen Millionenbereich gelegen habe. Um zu überleben, versuchen sich die Marinelli-Brüder neben  der Glockengießerei in  der Herstellung von Türen aus Bronze.  „Wir müssen jeden Tag austarieren, wie wir mit den Preissprüngen umgehen, wie wir Kunden akquirieren, wie wir zu Aufträgen kommen und wie wir noch mehr Touristen in unser Museum bekommen“, erklärt Armando Marinelli. Im  hauseigenen Museum  wird die Geschichte der Glockengießerei erzählt, und die älteste Glocke  kann bestaunt werden.

Außerdem ist Armando Marinelli  davon überzeugt, dass der Verkauf von Glocken eng mit dem Glauben zusammenhängt und hofft deshalb, dass der Glaube in der Bevölkerung wieder zunimmt. Noch sei das  Interesse für das Glockengießerhandwerk aber vorhanden. Oft  erhalten sie Anfragen von jungen und älteren Menschen, die in verschiedenen Funktionen in der Gießerei arbeiten möchten. Leider brechen viele nach kurzer Zeit ab, weil ihnen die manuelle Arbeit zu hart ist. Die Kinder der Brüder sind da ausdauernder.

Trotz starkem Traditionsbewusstsein gehen die Marinelli-Brüder mit der Zeit. Beim Einbau der Glocken  bedienen sie sich modernster Technik. Das Glockenläuten wird  elektronisch gesteuert, und eine spezielle App ermöglicht es dem Pfarrer, die Glocken sogar dann läuten zu lassen,  wenn er nicht vor Ort ist.

Die Brüder schauen trotz allem mit Zuversicht in die Zukunft, denn die 27. Generation, bestehend aus Künstlern und Handwerkern, steht schon bereit.  Das Überleben des Familienunternehmens ist  um eine weitere Generation gesichert.

 

Zur Veröfffentlichung in der F.A.Z

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