Eine Sirene ertönt, und die Achterbahn Blue Fire Megacoaster im Europa-Park Rust beschleunigt rasch auf 100 Kilometer in der Stunde. Neben den schreienden Mitfahrern ertönt aus zwei kleinen unscheinbaren Boxen, die an jedem Sitz angebracht sind, ein perfekt auf die Fahrt synchronisierter „On-Board-Soundtrack“. Er stammt von vier jungen Komponisten aus Paderborn, die 2009 die Sound-Schmiede Imascore GbR gegründet haben. Das Produkt, das die Jungunternehmer für Freizeitparks anbieten, nennt sich Akustikthematisierung: eine auf Kundenwunsch gemischte Musik oder Geräuschkulisse. Inzwischen ist das Unternehmen wegen mehrerer Soundtracks auf dem amerikanischen und asiatischen Markt nach Angaben der Geschäftsleitung der auf der Welt führende Audioanbieter für Freizeitparks. Die Wettbewerber seien zum großen Teil nicht auf Freizeitparks spezialisiert und eher selbständige Komponisten.
Das Unternehmen hat Soundtracks für die größten Freizeitparkprojekte Europas komponiert, zum Beispiel für die Achterbahn The Smiler aus dem britischen Alton Towers, für Helix aus dem schwedischen Park Liseberg, für die Chessington World of Adventures im Südwesten von London und für die 2016 eröffnete Themenwelt Klugheim im Phantasialand in Brühl bei Köln.
Das Team von Imascore besteht inzwischen aus acht Personen. Gemeinsam mit den Brüdern Andreas und Sebastian Kübler wagte Xaver Willebrand unmittelbar nach dem Abitur und mit nur 22 Jahren den Schritt in die Selbständigkeit. Die Unternehmensgründung sei vollkommen ohne finanzielle Unterstützung erfolgt, erzählt Willebrand. „Wir wollten unser Risiko selbst tragen.“ Kennengelernt haben sich die Gründer über gemeinsame Auftritte in einer Live-Band. Gleich nach der Schule machten sie ihr Hobby, die akustische Untermalung von Fotos, Filmen und Aktionen, zum Beruf. Die ersten zwei Jahre sei man „so dahingestrauchelt“, sagt Willebrand, die Zukunft sei unklar gewesen. Schließlich habe man eine Marktlücke entdeckt: Erlebnismusik für Freizeitparks. „Das ist ein sehr seltenes Angebot in unserer Branche.“
Der Heide Park in Soltau ließ Imascore den Soundtrack für die 2011 eröffnete Achterbahn Krake schreiben. Ingo Reichstein vom Heide Park Resort erklärt, warum die Musik so wichtig ist: „Strenggenommen ist eine Achterbahn erst einmal nicht mehr als eine Stahlschlange. Erst die Geschichte hinter der Attraktion emotionalisiert die Fahrt, holt die Gäste ab und entführt sie in phantastische Welten jenseits der Realität. Eine entscheidende Rolle dabei spielt die Musik.“ Sie mache das Erlebnis komplett und lasse die Gäste alles vergessen, was um sie herum passiere. „Ein genialer Soundtrack wird binnen Sekunden zum Ohrwurm und brennt sich derart ein, dass man ihn erst einmal nicht wieder loswird.“
Schon früh integriere man die Komponisten in die Konzeption neuer „Rides“. „Nur so tauchen sie tief genug in die Geschichte ein und verstehen den Charakter der Bahn“, erklärt Reichstein. Es sei jedes Mal aufs Neue ein „phantastisches Gefühl“, wenn die Musiker ihre großen Boxen aufbauten und auf die Play-Taste drückten. „Man schließt die Augen und ist sofort in einer anderen Welt.“ Dieses Gefühl helfe dann auch bei der finalen Planung der Bahn.
Im Tonstudio des Brühler Phantasialands sitzt Michael Laß, der dort als Audio-Engineer arbeitet. Er lobt die Zusammenarbeit mit Imascore. „Sie überraschen uns jedes Mal mit neuen und außergewöhnlichen Ideen und Musikbeispielen.“ Musik für die mittelalterliche Themenwelt Klugheim zu komponieren sei eine große Herausforderung gewesen, die Imascore mit Bravour und viel Phantasie gemeistert habe. „Nur ein falsch gewähltes Instrument hätte schon dafür sorgen können, dass nicht die Wirkung erzielt wird, die wir uns für Klugheim gewünscht haben“, sagt Laß.
Die meisten Soundtracks entstehen Imascore zufolge am Computer, teilweise werden sie auch von einem Orchester eingespielt. Das gelte auch für den Soundtrack für die Wasserbahn Chiapas, die seit 2014 im Phantasialand ihre Runden dreht. Eingespielt wurde die Musik vom Budapest Film Orchestra.
„Ich kann mich bei jedem neuen Projekt auch kreativ neu entfalten“, erzählt Andreas Kübler, der „Lead Composer“ von Imascore. „Zwar gibt es klare Vorgaben des Kunden, diese lassen aber dennoch genügend Raum für eigene musikalische und vor allem kompositorische Ideen.“ Besonders schön sei es dann, die Musik im Projekt zu erleben und die Reaktionen der Menschen wahrzunehmen. „Das macht die Arbeit am Ende greifbar.“ Die Musik müsse „jederzeit die Stimmung der Besucher aufgreifen und sie emotional berühren“.
Und so sei für die Themenwelt Klugheim ein Soundtrack entstanden, der sich an manchen Stellen ganz leise und sanft anhöre, an anderen Stellen dagegen dynamisch und mächtig wirke. Bei diesem Soundtrack habe man nicht nur auf digitale Archive zurückgegriffen, sondern man habe auch in der Natur aufgenommene Geräusche eingebaut, zum Beispiel das Krähen eines Raben. Ein besonderes Projekt sei auch die schwedische Achterbahn Helix gewesen. Dafür habe man klassische Orchestertöne mit der Musikrichtung Dubstep gemischt, das habe eine Art elektronische Tanzmusik ergeben.
„Je mehr Musik man produzieren lässt, desto billiger wird der Minutenpreis“, berichtet Willebrand. „Lässt man eine Minute Musik produzieren, kann dies 1000 Euro kosten, bei zwei Stunden kostet die Minute nur einen Bruchteil davon.“ Im Jahr 2014 habe Imascore einen Umsatz von 300000 Euro erwirtschaftet, im Jahr darauf 350000 Euro und im vergangenen Jahr 400000 Euro. „Noch beschäftigen sich 80 Prozent der Arbeit mit Freizeitparks und 20 Prozent mit sonstigen Projekten“, erklärt der Geschäftsführer. Zu Letzteren gehört Musik für Werbetrailer. Man strebe jedoch ein Verhältnis von fünfzig zu fünfzig an – und einen Erlös im siebenstelligen Bereich in den kommenden fünf Jahren. Man habe schon Musik für die Werbung von Sky und „Kleiner Feigling“ komponiert, berichtet Willebrand. Und die Trailermusik für das Videospiel Final Fantasy XV. Auch an der Musik für die amerikanische Fernsehserie „Containment“ sei man beteiligt gewesen. Willebrand erwähnt außerdem die Hymne für die Verleihung des Grimme-Preises.
Hunderte Musikstücke, die Restprodukte waren, aus Spaß gemacht worden sind oder für andere Projekte nicht genutzt wurden, werden auf der Seite Imatunes angeboten. Dort kann man Nutzungsrechte für diese Stücke kaufen. Eine gewerbliche Lizenz kostet 59 Euro; die Musik wird zum Beispiel für Telefonwarteschlangen genutzt.