Ob wir ins Weltall liefern? Na klar!“, sagt Horst Lohmann. Er ist Geschäftsführer und Gründer der Dr. Lohmann Diaclean GmbH mit Sitz in Castrop-Rauxel in Nordrhein-Westfalen. Das Unternehmen verkauft vor allem Mineralsalze und Vitalstoffe, doch eine Untereinheit, die den Namen Ecocyte Bioscience trägt, macht es zum Weltmarktführer. Nach eigenen Angaben ist man der erste und größte Anbieter von Eizellen (Oozyten) der Krallenfrösche. „Sie sehen aus wie Kaviar, haben allerdings eine weiße und eine schwarze Hälfte“, erklärt der Unternehmer. „Was sie für die Wissenschaft nützlich macht, sind ihre Fähigkeiten.“
In die ein bis zwei Millimeter kleinen Eizellen wird menschliches oder tierisches Erbgut injiziert. Auf diese Weise werden Endprodukte gebildet, zum Beispiel ein Ionenkanal. Ionenkanäle sind röhrenförmig angeordnete Tunnelproteine, die Ionen das Passieren von Biomembranen ermöglichen. Die Bildung derartiger Endprodukte sei in den Oozyten des Krallenfrosches sehr viel zuverlässiger möglich als in anderen tierischen oder menschlichen Zellen.
In mehreren Wasserbecken hält man 72 Krallenfrösche, die von drei der zehn Mitarbeiter des Unternehmens versorgt werden. An den Präparationstagen Montag und Donnerstag werden in einem fünfminütigen Eingriff je einem Frosch unter Narkose mehrere tausend Oozyten verschiedener Reifegrade entnommen. Die Eizellen werden in zwei Qualitätsstufen unterteilt: größere handverlesene Eizellen in die 1. Klasse und kleinere mit unterschiedlichen Größen in die 2. Klasse. Die Preise liegen zwischen 1,10 und 1,60 Euro je Eizelle.
Forschungseinrichtungen, Universitäten und Pharmakonzerne auf der ganzen Welt benötigten die Oozyten. In der Pharmaindustrie werden die Eier zum Testen von Substratwirkungen eingesetzt. Mit ihnen können auch Heilungsprozesse durch genetische Modifizierung erforscht werden. Ecocyte nimmt solche Forschungsaufträge auch selbst an. Somit besteht die Geschäftsstrategie des Unternehmens zum einen aus der Gewinnung und dem Vertrieb der Eizellen und zum anderen aus der Annahme von Forschungsaufträgen. Der Jahresumsatz betrug 2015 rund 450 000 Euro und verteilte sich zu 75 Prozent auf die erste Geschäftssäule und zu 25 Prozent auf die zweite.
Trotz Anfragen aus vielen Teilen der Welt beliefere man derzeit ausschließlich europäische Kunden. Dies hänge vor allem mit den hohen Zollbarrieren der meisten Länder Asiens sowie Nord- und Südamerikas zusammen, erklärt Lohmann. Die Krallenfrosch-Oozyten werden zu 80 Prozent an Kunden in Ländern der EU versandt. Das größte Abnehmerland ist Deutschland mit 25 Prozent, gefolgt von der Schweiz mit 20 Prozent und Dänemark mit 18 Prozent. Zu den europäischen Kunden zählen viele Universitäten, zum Beispiel die Charité in Berlin und die Universitäten München, Mailand, Luzern und Stockholm. Auch das Max-Planck-Institut und global agierende Chemie- und Pharmakonzerne sind Kunden. Regelmäßig beliefert man etwa 100 Abnehmer. Hinzu kommen etwa 200 flexible Kunden. Um den amerikanischen Markt zu erschließen, gründete Lohmann 2011 das Tochterunternehmen Ecocyte Bioscience US LLC mit Sitz in Austin, Texas. „Zu unseren Kunden zählen die Harvard University in Cambridge, die Johns Hopkins University in Baltimore sowie zahlreiche Howard-Hughes-Institute.“
Auf den zwei größten Oozyten-Absatzmärkten der Welt, den Vereinigten Staaten und Europa, ist Ecocyte nach eigenen Angaben Marktführer: Der Marktanteil in Europa betrage rund 90 Prozent. Der größte europäische Mitbewerber ist das staatlich geförderte European Xenopus Resource Centre mit Sitz in Portsmouth in Großbritannien. Der amerikanische Markt wird zu etwa 60 Prozent von Ecocyte versorgt.
Auf der ganzen Welt forschten rund 10000 Arbeitsgruppen mit den Eiern von Krallenfröschen, viele davon seien noch Selbstversorger. „Als Kunden von Ecocyte Bioscience haben wir den Vorteil, dass wir uns selbst weder um die Genehmigungen der Tierversuche noch um angemessene Lebensbedingungen für die Tiere kümmern müssen“, erklärt Sara Liin, Wissenschaftlerin an der Fakultät für klinische und experimentelle Medizin im Bereich Zellbiologie der Universität Linköping in Schweden. Durch die vom Landesveterinäramt geprüften hohen Standards der Tierhaltung erhalte man Eizellen der gleichen, sehr guten Qualität. „Wir können uns dadurch vollkommen auf die Forschung konzentrieren.“
Der Transport der Eizellen ist laut Lohmann sehr kostspielig. Die Eizellen haben eine durchschnittliche Haltbarkeit von etwa acht Tagen. Deshalb garantiert Ecocyte eine Expresslieferung über Nacht. „Egal, ob er in Mailand, Kopenhagen oder Münster sitzt: Wenn der Kunde bis zwölf Uhr mittags an unseren Präparationstagen Eizellen bestellt, sind diese in Reagenzgläsern, die mit einer konservierenden Flüssigkeit gefüllt sind, am nächsten Morgen bei ihm.“
Im März haben Studierende der Hochschule Luzern Oozyten von Ecocyte ins Weltall geschossen, an Bord einer Höhenforschungsrakete des Typs Improved Orion, wie Simon Wüest, Leiter des Experiments berichtet. Es wurden viele Daten aufgezeichnet, die Erkenntnisse über den Einfluss von Schwerelosigkeit auf biologische Zellen liefern sollen. Von Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens startete die Rakete ihren zehnminütigen Kurztrip ins Weltall.
Trotz namhafter Kunden und außerirdischer Projekte sei der Markt noch kein Millionenmarkt, sagt Lohmann. Verkauft habe man bisher rund 2 Millionen Eizellen. Mit 450 000 Euro machte die Untereinheit Ecocyte Bioscience im vergangenen Jahr 30 Prozent des Gesamtumsatzes des Unternehmens von 1,5 Millionen aus. Die amerikanische Tochtergesellschaft erwirtschaftete einen Umsatz von 400000 Dollar. Ecocyte verbucht jährliche Wachstumsraten zwischen 5 und 10 Prozent.