Krumme Gurken und sich umarmende Möhrchen tummeln sich auf den hübsch angerichteten Tellern. Solche außergewöhnlich geformten Sonderlinge finden seit Juli 2014 in der Berliner Gemüsewerkstatt Culinary Misfits von Tanja Krakowski und Lea Brumsack Zuflucht. Nach Angaben von Krakowski sortieren Bauernhöfe oft ein Drittel und teilweise sogar bis zur Hälfte des Gemüses aus, weil es nicht den EU-Normen entspricht und somit von Supermärkten nicht gekauft wird. Eine genormte Möhre zum Beispiel darf nicht gabelförmig gespalten sein und muss frei von Nebenwurzeln sein. Die Gemüse-Außenseiter werden an das Vieh verfüttert, untergepflügt oder weggeschmissen. Krakowski und Brumsack möchten die Aufmerksamkeit vieler Menschen auf diesen Missstand lenken. „Hey, guckt! Es sieht nicht alles supergerade aus, aber schmeckt trotzdem gut“, sagt Krakowski. „Wir möchten die Leute inspirieren, sich damit zu beschäftigen, was wächst, wie es schmeckt und somit Vielfalt bewahren.“
Die Frauen, die ökologisches Produktdesign studiert haben, betreiben einen Cateringdienst. Außerdem finden im umgebauten Kellergewölbe der Culinary Misfits in Berlin-Kreuzberg Workshops statt, in denen gezeigt wird, wie vielfältig man das Gemüse zubereiten kann. Für 58 Euro je Person kann man zum Beispiel am „Misfits Feierabend“ teilnehmen, bei dem drei Stunden lang mit den Gemüsesonderlingen gekocht und zum Schluss in vier Gängen gespeist wird. „Esst die ganze Ernte!“, lautet die erste goldene Misfits-Regel. Zudem bieten sie Konzeption und Beratung rund um die Misfits an. Außerdem gibt es Kochhefte, Rezeptpostkarten und Kunstdrucke. „Soweit uns bekannt ist, sind wir in Deutschland derzeit noch die Einzigen, die solch ein Konzept umgesetzt haben“, sagt Krakowski.
Dieses sei von Anfang an gut angekommen. „Viele Leute erinnerten sich daran, wie das Gemüse überhaupt wächst und aussieht.“ Die Kundschaft sei etwas jünger, der Anteil von Frauen und Männern ausgeglichen. Gemüsesonderlinge, die sich einer großer Beliebtheit erfreuten, seien mehrbeinige Möhrchen, die sich umarmen, und herzförmige Kartoffeln. „Einmal hatten wir eine zwanzigfingrige Möhre. Und ein anderes Mal eine Rote Bete, die etwa so groß war wie ein Fußball.“ Es stand nie die Masse im Vordergrund. „Mal verarbeiten wir 15 Kilogramm in der Woche, mal 150 Kilogramm“, sagt Brumsack.
Zu Beginn unterstützten sie mittels Crowdfunding etwa 500 Überzeugte mit 15000 Euro. Über das Jahr zählen fünf Bauern aus dem Umkreis Berlins zu den Kooperationspartnern des Unternehmens, bei denen sie das Gemüse kaufen. Auf Berliner Flohmärkten kaufen sie zudem Secondhand-Besteck, das genau wie das Gemüse einen Makel hat.
Auch das Ökodorf Brodowin hat schon mit Culinary Misfits zusammengearbeitet. „Wir ernten immer wieder Gemüse, das wir dem Großhandel optisch nicht anbieten können“, berichtet die Mitarbeiterin Franziska Rutscher. Dieses Gemüse zweiter Wahl werde entsprechend günstiger verkauft. „Diesen Sommer haben wir beispielsweise unsere Gurken für 2,49 Euro je Stück, also etwa 500 Gramm, angeboten. Die zweite Wahl gab es für 2,89 Euro je Kilogramm.“ Krakowski und Brumsack setzen sich außerdem für vergessene Gemüsesorten wie Topinambur und blaue Kartoffeln ein. Doch können sie von ihrem Unternehmen leben? „Wir haben viel investiert, daher haben wir nie in Saus und Braus davon leben können, aber auf jeden Fall mit gutem Gewissen“, verrät Brumsack.