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Selbst Angela Merkel braucht einen roten Faden

Schär betreibt die letzte mechanische Kokosweberei in Deutschland. Man stellt die roten Teppiche her, über die schon viele Prominente geschritten sind, nicht nur die Kanzlerin.

F.A.Z.

16.12.2016

Sarah Hammad

Berufskolleg Siegburg, Siegburg

Jeder kennt ihn: den roten Teppich, über den die Berühmten und Mächtigen schreiten. Doch wo kommen die Teppiche eigentlich her? Weit weg vom Rampenlicht, in dem kleinen Dorf Eisenschmitt, das nur 330 Einwohner hat und in der Vulkaneifel liegt, werden sie aus Kokosgarn auf mechanisch betriebenen Webstühlen hergestellt. Georg Fritzsche, 62 Jahre, ist Geschäftsführer der August Schär KG, der nach eigenen Angaben einzigen noch bestehenden mechanischen Kokosweberei in Deutschland. „Wir haben uns halten können, weil wir in erster Linie auf Qualität, Zuverlässigkeit, Beweglichkeit und Vielseitigkeit setzen und nicht die Massenprodukte suchen“, sagt Fritzsche. Das 1929 gegründete Unternehmen verarbeitet Kokosfasern zu hochwertigen Matten und Teppichen für Industrie, Gewerbe und Privathaushalte. Die Kokosweberei ist zugleich ein Museum, das besichtigt werden kann.

In den fünfziger Jahren gab es in Deutschland noch 35 Kokoswebereien und sogar einen Fachverband der Kokosindustrie, wie Fritzsche berichtet. Inzwischen habe sich die Produktion aus Kostengründen in asiatische Länder verlagert. Als die anderen Kokoswebereien ihr Geschäft einstellten, konnte Schär den Bestand alter Maschinen erweitern, weshalb der Betrieb in technischer Hinsicht langfristig gesichert sei. Wenn allerdings etwas kaputtgeht, ist nach Angaben des Unternehmenschefs Kreativität gefragt, da es keine Ersatzteile mehr gibt. Diese Teile müssten dann in Einzelanfertigung nachgebaut werden.

„Wenn es um Kokosteppiche geht, ist der Betrieb in Eisenschmitt der einzige in Deutschland“, sagt Fritzsche. Man sei zudem die einzige mechanische Kokosweberei, die die traditionellen roten Kokosteppiche noch hierzulande produziere. „Es gibt natürlich artverwandte Importprodukte.“ Rote Teppiche gibt es nicht nur aus Kokos, sondern auch aus synthetischen Fasern und anderen Materialien, die dann mehr den Charakter eines Teppichbodens haben; sie finden bei Veranstaltungen mit großen Flächen und Bühnen Verwendung.

Fritzsche, der auch Bürgermeister von Eisenschmitt ist, beschäftigt 15 Mitarbeiter. Der Umsatz lag 2010 bei 1,2 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr betrug er „2 Millionen als Basis plus oder minus 20 Prozent, je nach Berücksichtigung von Handelsartikeln und reinen Dienstleistungen“. Das Lager sei leer, man könne sich vor Aufträgen kaum retten. Das Unternehmen produziert nur in Deutschland. Der Export macht etwa 10 Prozent aus.

Über die roten Teppiche von Schär sind schon die britische Königin Elisabeth II., Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck gelaufen. Auch die amerikanischen Präsidenten Barack Obama, George Bush und Bill Clinton sind bereits über sie geschritten, genauso wie viele Prominente bei Filmfestspielen und anderen Großveranstaltungen. Schär produziert die Kokosteppiche auch für Treppenhäuser, Flure, Kircheninnenräume und Messehallen. Früher hätten das Bundeskanzleramt und das Auswärtige Amt immer „direkt im Dorf“ bestellt, erzählt Fritzsche. Heute hätten sie eigene Vertragslieferanten. Deshalb wisse er oft nicht, wo seine Ware Verwendung finde, und erfahre manches erst aus dem Fernsehen.

Die Produktion in Eisenschmitt beginnt mit dem Einfärben. Das Kokosgarn bezieht Fritzsche hauptsächlich aus Indien und Sri Lanka in naturbelassener Form. Dort wird das Garn aus Kokosfasern gesponnen, die aus der Fasernhülle gewonnen werden, die die Kokosnuss ummantelt. In Ballen gepresst, wird das Garn nach Antwerpen verschifft und dann mit dem Lastwagen nach Eisenschmitt gebracht. In der Fabrik wird es 24 Stunden lang bei 90 bis 100 Grad in großen Bottichen rot gefärbt, ausschließlich mit natürlichen Farbstoffen.

Die Kokosfasern sind schwierig in der Verarbeitung, denn Kokos reißt schnell. Doch weist die Kokosfrucht einzigartige Eigenschaften auf. Aus ihnen hergestellte Produkte sind nach Fritzsche „extrem strapazierfähig und halten Ewigkeiten“. Meistens würden die Läufer oder Teppiche nur ausgetauscht, weil sie durch Verschmutzung, Ausbleichen oder Auswaschungen unansehnlich geworden seien. Kokosteppiche harmonisierten zudem das Raumklima, weil sie überschüssige Luftfeuchtigkeit speicherten. Außerdem nehmen sie keinen Staub an, sind pflegeleicht und unempfindlich gegen Nässe.

Die roten Teppiche werden aus Kokos, Sisal und Jute gefertigt. Sisal importiert Schär überwiegend aus Mexiko und Brasilien. Die roten Fischgrat-Kokosteppiche kosten je Quadratmeter zwischen 25 und 45 Euro für den Endverbraucher.

Bei den mehr als fünfzig Jahre alten Maschinen komme es schon mal zu Zwischenfällen, erzählt Fritsche, trotz guter Wartung. Dann sei Improvisation gefragt. Der ehemalige Angestellte Günther Klein eilt dann zur Hilfe. Der 75-Jährige ist stolz, noch gebraucht zu werden. Eine Automatisierung ist für Fritzsche unvorstellbar. Er habe es lieber „klein und fein“.

120 Quadratmeter schafft ein geübter Arbeiter am Tag. „2006 haben wir extrem viel roten Teppich gewebt“, berichtet Fritsche. „Es begann mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland, 4500 Quadratmeter, dann kam der Besuch des deutschen Papstes Benedikt XVI. in seiner Heimat Bayern, etwa 3500 Quadratmeter, das 125-jährige Karstadt-Jubiläum, 8000 Quadratmeter, Queen Elisabeth II. in Estland, mehr als 20000 Quadratmeter.“ In anderen Jahren sei es aber nur ein Bruchteil.

Fritzsches Sohn Alexander, 31 Jahre, ist als einziges von fünf Kindern in das Unternehmen eingetreten und wird es übernehmen. Dann möchte er am Marketing arbeiten, sonst solle nichts verändert werden. Georg Fritzsche denkt aber noch lange nicht an den Ruhestand.

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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