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Schöne Erinnerungen verduften nicht

Ein im Geschäft kaum wahrnehmbarer guter Geruch erhöht die Kaufwahrscheinlichkeit. Immer mehr Unternehmen setzen deshalb auf Duftmarketing. Medizinern und Verbraucherschützern gefällt das nicht.

F.A.Z.

1.09.2016

Lea Hemmersbach

Berufskolleg Siegburg, Siegburg

Solange der Mensch atmet, riecht er auch“, sagt Hanns Hatt, einer der führenden Duftforscher Deutschlands. Entscheidend für die starke Wirkung von Gerüchen sei, dass sie direkt auf das limbische System und den Hippocampus und damit auf die Emotionen und die Erinnerungen wirkten. „Deshalb besitzen Düfte eine so hohe manipulative Macht“, erklärt Hatt. Für Marketingleute seien Düfte ein perfektes Werbemittel. Der Kunde rieche einen Duft, der ihn an etwas Schönes erinnere: „Die Kaufentscheidung ist längst gefallen, wenn das bewusste Denken einsetzt und nach rationalen Gründen sucht.“ Tatsächlich hat sich inzwischen das Duftmarketing etabliert; Düfte werden zur Verkaufsmotivation und Kundenbindung eingesetzt.

Eines der Unternehmen, die Düfte für Unternehmen entwickeln, ist Scentcommunication in Köln. Geschäftsführer Robert Müller-Grünow bezeichnet sein Unternehmen als deutschen Marktführer im Bereich Duftmarketing und Corporate Scents und als die Nummer vier auf der Welt. Das Unternehmen habe eine Technik entwickelt, mit der man Düfte zeitlich und örtlich präzise wiedergeben könne. Der Umsatz liege „im niedrigen einstelligen Millionenbereich, Tendenz steigend“. Die Duftentwicklung habe einen Anteil von 20 Prozent am Umsatz und der Verkauf von Geräten inklusive der Kartuschen 80 Prozent. Es gebe nur vier global bedeutende Unternehmen in der Branche. Die amerikanische Scentair sei Weltmarktführer, gefolgt von Prolitec, ebenfalls aus den Vereinigten Staaten, und der australischen Air Aroma. Die Amerikaner seien in Europa aber kaum tätig. Zusammen setzen die vier großen Unternehmen nach Müller-Grünows Schätzung jährlich rund 60 Millionen Dollar um.

Man unterscheidet zwischen einem „Signature-Duft“, der auf die Unverwechselbarkeit der Duftmarke abzielt, und einer Duftnote, die man als angenehm empfindet und die beispielsweise auf die jeweilige Saison abgestimmt ist. „Wenn ich Frühlingskleider verkaufen will, und es riecht frisch nach Frühling, dann ist das sicher eine zusätzliche Entscheidungshilfe“, erklärt Forscher Hatt. Nach einer Studie der Wirtschaftswissenschaftlerin Anja Stöhr, die das Kaufverhalten in 200 Sportgeschäften beobachtet hat, steigerte sich die Kaufbereitschaft nach der Beduftung der Verkaufsräume um rund 15 Prozent, die Verweildauer um 16 Prozent und die Beratungsbereitschaft um fast 19 Prozent.

Kunden von Scentcommunication sind Banken, Hotels, Ärzte, Krankenhäuser, Dax-Unternehmen, Supermärkte und die Deutsche Bahn. Das Mischen sei eine sensible Angelegenheit: „Es kann passieren, dass ein Duftmolekül ein anderes völlig neutralisiert oder dass aus zwei guten Gerüchen Gestank entsteht.“ So habe ein Kunde gewollt, dass der Aufsteller neben der Tiefkühltruhe mit den Pizzen nach den Zutaten riechen sollte: Käse, Salami und Tomate. „Zusammen hat das einfach furchtbar gerochen.“

Samsung ließ das Duftlogo „Intimate Blue“ kreieren, das eine metallische Note hat und nach Meeresluft riecht. „Es kommt in Flagship Stores, in Ausstellungsräumen, bei Messeauftritten und auf Produkten zum Einsatz“, berichtet Müller-Grünow. „Wir haben den Samsung Store in New York in vier Zonen eingeteilt. Wenn der Duft vorne links ist, gehen mehr Menschen nach vorne links. Sie halten sich dort länger auf und kaufen mehr.“ Auch Miele hat einen Duft entwickeln lassen. Mandarine und Orchidee sollen an frischgewaschene Wäsche erinnern, Vanille und Kakao sind wichtige Backzutaten und vermitteln Gemütlichkeit. Sogar Banken setzen Duftstoffe ein getreu der Devise „Geld stinkt nicht“. Rund 5000 Düfte hat Müller-Grünow mit seinem Team aus zwölf Mitarbeitern bisher entwickelt. „Bei Krankenhäusern oder Ärzten werden Düfte eingesetzt, um ein angenehmes Klima zu schaffen und die Angst zu nehmen.“ Die Entwicklung eines Duftes dauere mehrere Monate. „Für eine große Kette kostet der Entwurf eines ,Signature-Scent‘ 30000 Euro oder mehr, die Komposition eines individuellen Markenduftes kostet 2000 bis 10000 Euro.“

Die Beduftung von Räumen bis zu 50 Quadratmetern erfordere ein kleines System zu 100 Euro und monatliche Kartuschen für 15 bis 30 Euro. Ab 100 Quadratmetern benötige man Geräte für etwa 300 bis 1500 Euro, die Duftkosten lägen bei monatlich 50 Euro. Bei großen Flächen fielen 3000 und 50 Euro im Monat an.

Es gibt einen Geruch, den alle mögen: Vanille. „Muttermilch schmeckt danach“, erklärt Müller-Grünow. „Vanille stellt eine lebenslange Erinnerung an Geborgenheit und Glück dar, vermittelt Vertrauen“, sagt Geruchsforscher Hatt. Lavendel und Rosenöl werden als entspannend empfunden, Edelhölzer stehen für Eleganz.

Jede Bewertung eines Geruchs ist laut Hatt vom Kulturkreis geprägt. „In Deutschland assoziiert man Zitronenduft mit Sauberkeit und Frische, in anderen Ländern, vor allem in Portugal und Spanien, wird eher der Chlorgeruch, über den Deutsche die Nase rümpfen, mit diesen Attributen in Verbindung gebracht.“

Wichtig ist auch die richtige Dosierung. Nach einem Medienbericht versprühte das Modelabel Abercrombie & Fitch in deutschen Filialen den stark süßlichen Duft „Fierce“ in sehr hoher Dosis. Er wurde auch nach außen geblasen, Passanten fühlten sich belästigt. Das Unternehmen musste auf amtliche Anordnung den Parfümausstoß um 25 Prozent senken.

Kritik kommt vom Asthmabund. „Die Brandbreite der Reaktionen auf Duftstoffe ist vielfältig: von Atembeschwerden, Kopfschmerzen, brennenden Augen, Übelkeit, Hautirritationen, Taubheitsgefühlen und Konzentrationsschwierigkeiten bis hin zu Asthmaanfällen, Krämpfen oder Bewusstlosigkeit“, sagt Sonja Lämmel vom Deutschen Allergie- und Asthmabund. Man rate, die Beduftung in öffentlichen Räumen zu unterlassen oder zumindest kenntlich zu machen. Nach dem Umweltmediziner Wolfgang Straff vom Umweltbundesamt gibt es in Deutschland etwa 1,5 Millionen Allergiker, und nur 26 der rund 3500 von der Industrie verarbeiteten Aromastoffe seien deklarationspflichtig.

Verbraucherschützer kritisieren zudem, die Kunden könnten sich wegen subtiler Beeinflussung an der Nase herumgeführt fühlen. Dem entgegnet Müller-Grünow: „Wir manipulieren uns auch selbst, indem wir Parfüm oder ein Eau de Toilette auftragen.“ Duft sei ein ganz normales Gestaltungsmittel. „Die katholische Kirche nutzt seit Jahrhunderten Weihrauch.“

Deutschland ist einer der stärksten Wachstumsmärkte von Scentcommunication. Wirtschaftspsychologe Florian Becker von der Hochschule Rosenheim prognostiziert: „In zehn Jahren wird es ganz normal sein, eine Modekette oder ein Kaufhaus nicht nur am Logo, sondern auch am Geruch zu erkennen.“

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