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Manche sind von Taschen ganz gefangen

Häftlinge stellen Taschen her - und bereiten sich auf das Leben in der Freiheit vor

F.A.Z.

19.06.2015

Alina Domhan

Rosenstein-Gymnasium, Heubach

An dieser Tasche habe ich maßgeblich an der Gestaltung mitgewirkt. Ich bin 38 Jahre alt und war vor meiner Inhaftierung selbständiger Handwerker. Meine Hobbys waren Tauchen, Bergsteigen und Klettern. Ich bin seit viereinhalb Jahren in Haft und muss leider noch sehr lange hier bleiben, da ich wegen eines Tötungsdelikts verurteilt wurde. Björn F.“ Eine Botschaft wie diese ist jedem Produkt von Jailers beigefügt. Helmut Fietz von der Justizvollzugsanstalt (JVA) Heilbronn zeigt begeistert, wie die Häftlinge individuelle, trendige Taschen herstellen. Dank einer großen Farbauswahl und vieler Kombinationsmöglichkeiten wird jedes Exemplar zum Unikat. Die Taschen werden hauptsächlich aus Lkw-Planen hergestellt, es werden jedoch auch Kaffeesäcke und schwarzes Leder verwendet. Die Heilbronner Kaffeerösterei Willy Hagen stellt ihre Kaffeesäcke kostenlos zur Verfügung. Einen Blickfang stellt die kleine Handschelle dar, die als zusätzlicher Verschluss dient.

Alles begann damit, dass sich die Tochter des ehemaligen Anstaltsleiters eine Lkw-Planentasche wünschte. Nun werden Umhängetaschen, Laptoptaschen, Einkaufs-, Kinder- und Sporttaschen gefertigt. Die Preise für die meisten Taschen bewegen sich zwischen 40 und 90 Euro. Nach Angaben von Fietz werden die Taschen hauptsächlich von Schülern und Studenten gekauft. In der Regel arbeiten drei oder vier Arbeiter an einer Tasche. Würde eine Person alle Arbeiten allein ausführen, nähme dies mindestens zwei Tage in Anspruch.

Jailers beschäftigt acht bis zehn Gefangene. Ihnen steht Jahresurlaub zu, und die Arbeitszeit ist gesetzlich festgelegt. Die Entlohnung der Gefangenen erfolgt in fünf gesetzlich festgelegten Stufen; die Stufe eins beginnt bei 1,28 Euro in der Stunde. Dabei ist zu bedenken, dass den Gefangenen alles Lebensnotwendige gestellt wird.

Die Insassen sollen auf die Zeit nach der Entlassung vorbereitet werden. Ein geregelter Arbeitsalltag ist da von großer Bedeutung. Von dem Verkaufserlös werden 5 Prozent für Resozialisierungsmaßnahmen verwendet. Hinzu kommt, dass der Kunde mit einer persönlichen Log-in-Nummer den Gefangenen ein Feedback geben kann. „Es wird großer Wert darauf gelegt, dass die Insassen mit ihren eigenen Ideen zur Gestaltung der Produkte beitragen. Dies führt dazu, dass sich die Inhaftierten mit dem jeweiligen Gegenstand identifizieren“, sagt Fietz. Es komme sogar öfters vor, dass die Gefangenen freiwillig Überstunden machten.

Die JVA Heilbronn ist auch noch in weiteren Bereichen wie Bäckerei, Metzgerei, Schuhmacherei, Buchbinderei, Schreinerei, Schlosserei, Druckerei und im Weinanbau tätig. Nicht zuletzt dank der Jailers-Produktion kann jedes Jahr ein Umsatz in Höhe von rund 2 Millionen Euro erzielt werden. Es wird ohne staatliche Zuschüsse produziert.

„Unsere Taschen erzählen eine Geschichte, jede auf ihre ganz individuelle Art und Weise.“ So beschreibt die 44 Jahre alte Unternehmerin Alexandra Dittrich die Taschen, die sie gemeinsam mit Bettina Burchard entwirft. Die beiden Designerinnen haben 2001 das Modelabel Lemonfish gegründet. Vor etwa zehn Jahren kamen sie auf die Idee, mit dem schon fast vergessenen Stoff, aus dem die Bundeswehr ihre Seesäcke fertigen ließ, zu arbeiten. Den kombinieren sie mit Borten und Verzierungen.

Die beiden Gründerinnen, die sich seit dem Designstudium kennen, sehen sich auch als Sozialarbeiterinnen. Lemonfish liefert den Bundeswehrstoff an Jugendvollzugsanstalten in Süddeutschland. „Dort wird der Stoff gewaschen und dann in der Näherei zu Taschen verarbeitet.“ Der Großteil der Taschen kostet zwischen 100 und 200 Euro. Nach ihrer Entlassung haben die Näherinnen aus dem Gefängnis sogar die Chance auf eine Anstellung bei Lemonfish. „Wir möchten den Frauen nach ihrem Gefängnisaufenthalt zeigen, wie man, ohne straffällig zu werden, leben kann“, sagt Dittrich. Über ihr Resozialisierungsprojekt berichten die Unternehmerinnen nur Positives: „Die Frauen lassen sich von unserer Begeisterung anstecken, wir binden sie in Neuentwicklungen ein und berichten über die Reaktion der Kunden. Dadurch erfahren sie eine Wertschätzung, manchmal zum ersten Mal in ihrem Leben.“ Lemonfish hat keinen festen Vertrag mit den JVA, bezahlt wird je Tasche, und die Näherinnen bekommen von der JVA einen festen monatlichen Lohn.

Mit Canvasco aus Bremen gibt es einen weiteren Taschenanbieter, der von Gefangenen fertigen lässt. Diese Taschen werden aus zerschnittenen Segeln hergestellt. „Die Arbeit, die sie für mich verrichten, nimmt ihnen ein wenig von der tödlichen Langeweile“, sagt der Geschäftsführer, Jan-Marc Stührmann. Die Justizvollzugsanstalt, in der die Canvasco GmbH produzieren lässt, steht in Vechta.

Lemonfish verkauft nach eigenen Angaben jährlich 2000 bis 2500 Taschen und beschäftigt acht festangestellte Mitarbeiter in der Näherei. Sie liegt im oberen Stockwerk eines Lagerhauses und ist freundlich und offen gestaltet, an der Decke hängt ein riesiger Kronleuchter. Unter den Mitarbeiterinnen sind drei ehemalige Häftlinge. Im vergangenen Jahr belief sich der Umsatz auf rund 650 000 Euro.

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