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Jugendliche zeigen weniger Haut

Junge Leute tragen die falschen Schuhe – zumindest aus Sicht der Gerberei Heinen

F.A.Z.

21.12.2018

Jessica Rohde

Gymnasium Ohmoor, Hamburg

Die Lederfabrik Josef Heinen GmbH & Co. KG, ein seit 1891 bestehendes Familienunternehmen in Wegberg in Nordrhein-Westfalen, hat sich auf Qualitätsleder für die Schuh- und Taschenindustrie spezialisiert. In Deutschland sei man mittlerweile die einzige Gerberei, die sich auf diese Bereiche konzentriert, berichtet der Geschäftsführer Thomas Heinen. Nach Angaben des Verbands der Deutschen Lederindustrie hat das Unternehmen in Deutschland einen Marktanteil von 100 Prozent. „Bei uns läuft alles auf Kundenwunsch, wir haben keine Lagerware. Der Kunde muss uns genau sagen, was er haben will“, sagt Heinen.

Man arbeite nur mit Bullenhäuten, weil sie sehr dick seien, sagt Heinen. „Außerdem verwenden wir ausschließlich den Narbenspalt, da er dichter und reißfester ist als der Fleischspalt.“ Der Narbenspalt entsteht, wenn das Leder im Spaltungsvorgang horizontal in zwei Fleischschichten geteilt wird. Der Narbenspalt ist die Schicht, die sich außen am Leder befindet. Der Kunde kann entscheiden, wie dick oder weich das Leder sein soll oder welches Muster es haben soll. Die Hälfte der Ausgaben verursacht der Kauf der Bullenhaut. Ein Quadratmeter Leder kostet bei Heinen rund 40 Euro; der Kunde kauft im Durchschnitt 5000 bis 10000 Quadratmeter. Man kaufe regionale Häute und Chemikalien, weil sie die Umwelt weniger belasteten.

Die Gerberei erwirtschaftet ein Drittel des Umsatzes im Verkauf an Behörden. „Egal ob deutsche Bundeswehr oder Schweizer Armee, die Soldaten laufen alle mit unseren Ledern herum“, erzählt Heinen. Ein weiteres Segment ist der Verkauf von Ledern an die Outdoor-Schuhindustrie; wichtige Kunden sind Globetrotter und Mammut. Heinen verkauft auch an Produzenten von Damen-, Herren- und Kinderschuhen sowie an die Taschenindustrie.

Der Umsatz belief sich 2017 auf rund 35 Millionen Euro und soll sich weiterhin positiv entwickeln. Allerdings wird Leder in den jüngeren Generationen immer unbeliebter. „Die Jugendlichen haben kaum noch Leder an den Füßen, sondern nur Plastik.“ Insgesamt steige die Nachfrage nach Leder nicht mehr. „Für uns ist es noch positiv, da wir in bestimmten Nischen unterwegs sind, aber ich weiß nicht, wie lange das noch so sein wird“, erklärt der Geschäftsführer. Allerdings hat diese Entwicklung auch Vorteile für das Unternehmen: Man hat hierzulande keine Konkurrenz mehr. „Die meisten Gerbereien in Deutschland haben Insolvenz angemeldet, stehen kurz davor oder sind existenzgefährdet“, erklärt Heinen. Und die Gerbereien, die es gibt, produzieren nicht für dieselbe Nische wie Heinen.

Belastend könnte auch der Trend zum vegetarischen und veganen Lebensstil sein. „Die Auswirkung ist jedoch minimal“, sagt Thomas Schröer vom Verband der Deutschen Lederindustrie. „Viele Vegetarier und auch Veganer kaufen Leder, denn das Leder ist nur ein Nebenprodukt. Es werden also keine Tiere für die Produktion von Leder gemästet und getötet.“ Außerdem gebe es kaum „richtige Veganer“, die zum Beispiel keinen Honig äßen, nicht in den Zoo gingen oder keine Lederschuhe trügen.

Der Exportanteil von Heinen beträgt rund 50 Prozent; allerdings verbleiben nur etwa 5 Prozent der Leder in Deutschland, denn viele deutsche Unternehmen, die das Leder kaufen, schicken es in andere Länder, wo es billig zu Schuhen genäht wird.

Damit die Bullenhaut zu Leder verarbeitet werden kann, müssen viele Chemikalien und viel Wasser verwendet werden. Um die Produktion umweltfreundlicher zu machen, hat man in Produktion und Ausstattung der Fabrik investiert, zum Beispiel in eine Kläranlage. Die Hälfte der eingesetzten Energie wird im unternehmenseigenen Kraftwerk produziert. Da während der Produktion sehr viel CO2 produziert wird, investiert man in Aufforstungsprogramme.

„Wir achten in unserer Produktion darauf, dass alles so ökologisch abläuft, wie es nur möglich ist, und achten auch ganz besonders auf unsere Mitarbeiter und unsere soziale Verantwortung“, sagt Heinen. Das fasse man unter dem Namen Terracare zusammen. Dem Kunden werde dann genehmigt, den Namen Terracare zu verwenden. Darauf legt zum Beispiel der Kinderschuhproduzent Ricosta Wert. „Ricosta kauft je Jahr rund 35000 Quadratmeter Leder von der Gerberei Heinen; das sind etwa 25 Prozent von allen angekauften Ledern“, berichtet Pascal Schiller aus der Produktionsplanung von Ricosta. Die Nachfrage von Ricosta nach den Lederprodukten ist in den vergangenen drei Jahren stark gestiegen. Grund dafür sei die steigende Nachfrage von Schuhen, die aus dem nachhaltigen Leder der Gerberei Heinen entstünden.

Als weiterer Grund wird das Zero-Chrome-Projekt von Terracare angeführt. Die Chemikalie Chrom-III wird beim Gerben eingesetzt, um das Leder weich und geschmeidig zu machen. Manche Menschen reagieren allergisch darauf. Laut Heinen enthalten die Leder kein Chrom. Sie werden zum Beispiel an Duckfeet verkauft, einen Schuhproduzenten, der jährlich 5000 Paar Schuhe mit chromfreiem Leder verkauft. Vibeke Dissing von Duckfeet berichtet, dass etwa 70 Prozent dieser Käufer an einer Chromallergie litten.

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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