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Glasbläser brauchen einen langen Atem

Poschinger ist die der älteste Glasmanufaktur Deutschlands. Ihre Mitarbeiter müssen sehr belastbar sein.

F.A.Z.

14.09.2017

Mia Lebbäus

Berufskolleg Siegburg, Siegburg

Quarzsand, Soda, Kalk und Pottasche – aus diesen Stoffen kann in den richtigen Händen ein kleines glänzendes Wunderwerk entstehen. Solche Hände sind in Frauenau im Bayerischen Wald tätig: in der Glasmanufaktur Freiherr von Poschinger. Sie ist nach eigenen Angaben die älteste Glasmanufaktur Deutschlands und die älteste Glasmanufaktur der Welt in ununterbrochenem Familienbesitz; Letzteres ist seit 1568 der Fall. „Die Poschinger-Jugendstil-Glashütten in Spiegelau-Buchenau und in Oberzwieselau sandten ihr hochwertiges Glas in die Metropolen des 19. Jahrhunderts bis nach St. Petersburg und gewannen Preise auf Weltausstellungen in Chicago und Paris“, berichtet die Glasfachfrau Christiane Sellner.

Dass sich das Unternehmen in Zeiten des Niedergangs der Glasindustrie behaupten konnte, liegt nach Aussage des Hauptgeschäftsführers der IHK für Niederbayern in Passau, Walter Keilbart, daran, dass Benedikt Freiherr Poschinger von Frauenau den Schritt zurück zur reinen Manufakturfertigung und weg von der Sortimentsproduktion wagte. Diesen Schritt vollzog Poschinger, als im Zuge der Automatisierung und Globalisierung die Konkurrenz aus Osteuropa und Asien den Markt mit billigem Pressglas überschwemmte und der Niedergang der Glasindustrie im Bayerischen Wald begann. In den siebziger Jahren beschäftigte die Glasindustrie in Niederbayern 8000 Mitarbeiter; derzeit sind es nur noch 2000.

„Als hier ein Betrieb nach dem anderen verschwand, mussten wir 2001 überlegen, wie es weitergeht“, erzählt Poschinger. „Für teure Maschinen gab es kein Geld, also setzten wir auf Perfektion im Handwerklichen und sind weggegangen von der klassischen manuellen Massenproduktion und den klassischen Sortimenten wie Trinkgläsern.“ Man habe sich auf Spezialanfertigungen spezialisiert. „Wir fertigen ab einem Stück fast jedes erdenkliche Glas. Ich sehe uns auf diesem Feld mittlerweile als die führende Manufaktur“, sagt Poschinger. Dass die Umstellung gelang, lag nach seiner Aussage auch daran, dass das Familienunternehmen drei Standbeine hat: die Forstwirtschaft, die Landwirtschaft und die Glasmanufaktur. Die Familie ist der größte private Forstbesitzer in Bayern.

Die Produkte der Glashütte gehören zur Geschichte des deutschen Gebrauchsglases des Klassizismus, des Jugendstils und des Art déco. Berühmt wurde Poschinger nach Aussage der Glasexpertin Sellner mit Jugendstilvasen. Die Jugendstiltradition wird in den Repliken früherer Entwürfe aufrechterhalten. In der Kollektion „Peter Behrens 1901“ kostet ein Champagnerglas rund 180 Euro.

In der traditionellen Ofenhalle wird jedes Stück von Hand gefertigt. Von den 25 hochqualifizierten Mitarbeitern sind vier Glasbläser. Sie geben ihr Wissen oft über Generationen weiter. „Das ist bei uns ein ganz wichtiges Thema, weil das Glasmachen kein Handwerk ist, das man irgendwie an der Berufsschule lernt“, erklärt Poschinger. Der Beruf des Glasmachers sei sehr schwierig. Einerseits müsse dieser kräftig und belastbar sein, andererseits brauche er Feingefühl. Der Glasmacher Hans Melch, der älteste Glasmacher in der Manufaktur, erzählt: „Mein Großvater war Glasmacher, mein Onkel und Vater auch. Ich bin oft am Samstag gekommen und habe das Einblasen geübt.“

Zunächst wird ein Mix aus verschiedenen Rohstoffen hergestellt; jede Glashütte hat ihre eigene Rezeptur. Dieses Gemisch wird zusammen mit ungefähr 30 Prozent alten Scherben derselben Farbe über Nacht zu Glas geschmolzen. Der Ofen wird auf bis fast 1500 Grad erhitzt. In der Früh ist die Temperatur dann wieder bei etwa 1200 Grad. Nun kann das Glas verarbeitet werden. Die Glasmacher blasen mit ihren dünnen Glaspfeifen die glühende Masse auf und walzen sie auf einer eisernen Platte hin und her. Es entsteht eine Hohlkugel, Kölbl genannt, die zum Abkühlen in das Wulgerholz, einen Holzlöffel, gelegt wird. Im nächsten Schritt wird das Kölbl in eine Holzform gepresst, die dem Glas unter ständigem Weiterpusten die gewünschte Gestalt gibt. 2016 wurden laut Poschinger 10,4 Tonnen Glas geschmolzen.

Immer noch zählen Adels- und Königshäuser zur illustren Kundschaft der Glashütte, zum Beispiel das Haus Hohenzollern. Unternehmen gehören ebenfalls zu den Kunden; sie lassen Trophäen, Gast- und Werbegeschenke fertigen. Man hat auch Aufträge für den Denkmalschutz, zum Beispiel die Lampen für das Bayreuther Opernhaus. Zu den Preisen der Sonderanfertigungen sagt Poschinger: „Wir haben Sachen, die kosten 100 bis 150 Euro, aber es gibt auch Stücke, die liegen zwischen 12000 und 16000 Euro.“ Die Sonderanfertigungen machten mittlerweile 95 Prozent der Glasproduktion aus. Davon sind 30 bis 40 Prozent Lampen und Beleuchtungen, 20 bis 30 Prozent sind dem Bereich des Innendesigns zuzuordnen, und 10 Prozent sind Vasen, Trophäen, Ausbesserungen und der Ersatz für beschädigte Gläser. 5 Prozent des Umsatzes machen die Servicegläser aus. Die Exportquote beträgt rund 30 Prozent. Der Umsatz liegt nach Angaben des Unternehmenschefs im mittleren einstelligen Millionenbereich.

Poschinger hofft, dass seine zwei Söhne, die noch Kinder sind, die Manufaktur eines Tages in der 16. Generation weiterführen. „Mein Vater hat mich nie dazu gedrängt. Das war das Geheimnis.“

Zur Veröffentlichung in der F.A.Z.

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