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Gesundheitsbewusste Menschen beißen ins Gras

Wie kann sich die Weltbevölkerung künftig ernähren, ohne die Umwelt zu zerstören? Sie könnte mehr Algen verzehren – darauf setzen die Betreiber der ersten Mikroalgenfarm in Europa.

F.A.Z.

3.11.2016

Anna Hellmold

Eichsfeld-Gymnasium, Duderstadt

Eine Algenlimo bitte!“ Dieser Wunsch wirkt im ersten Moment verwirrend, verbindet man mit Algen doch eher an Stränden angespülte Teppiche als Lebensmittel. Recht bekannt sind freilich die Makroalgen, die für Sushi verwendet werden. Es gibt aber auch Mikroalgen. Derzeit kennt man 30000 bis 40000 Arten, vermutet aber, dass es zehnmal mehr gibt. Mit der ersten Mikroalgen-Anlage Europas in Klötze in Sachsen-Anhalt hat es sich die Roquette Klötze GmbH & Co. KG zur Aufgabe gemacht, Mikroalgen für die Produktion von Lebensmitteln herzustellen.

Diplom-Biologe Jörg Ullmann, Geschäftsführer des Unternehmens, berichtet, wie man auf die Idee kam, eine Algenfarm zu errichten. Man fragte sich, wie man die klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen aus Kraftwerken sinnvoll nutzen kann. Dass CO2 durch Photosynthese in Biomasse umgewandelt wird, weiß jeder Schüler. Die Alge hat den Vorteil, dass sie bis zu zehnmal schneller als Landpflanzen wächst und dadurch je Zeiteinheit mehr CO2 bindet.

Die Algen werden in einem aus 500 Kilometer Glasröhren bestehenden Photobioreaktorsystem hergestellt. Die Anlage steht in einem Gewächshauskomplex von etwa 1,2 Hektar und hat ein Fassungsvermögen von 600000 Litern. „Als die Anlage 1999 errichtet wurde, war das eine Weltpremiere“, erinnert sich Ullmann. „In Europa war es die einzige Mikroalgenfarm überhaupt.“ Seit 2008 gehört der Betrieb zum französischen Unternehmen Roquette. Inzwischen gibt es auch die Möglichkeit, Mikroalgen durch Fermentation unter Lichtabschluss in Edelstahltanks herzustellen.

Zuvor fand die Produktion von Mikroalgen vor allem in den Vereinigten Staaten und Südostasien statt, wo die Alge in offenen Teichanlagen gezüchtet wurde. Ein Vorteil der patentierten Technologie in Klötze seien die Reinheit und die Qualität: Die Glasröhren schützten vor Schadstoffen und Verunreinigungen und ermöglichten eine optimale Sonnenlichtversorgung; zudem benötige die Anlage weniger Platz als die Teiche, und die Algen wüchsen schneller.

Ullmann gibt an, man sei der größte Produzent von Algen im Lebensmittelsektor in Deutschland. Die Produktionsmenge liegt bei 30 bis 50 Tonnen getrockneter Algen in Deutschland. Exportiert wird in die ganze Welt, zum Beispiel nach Asien und Nordamerika. „Eigentlich stehen wir erst am Anfang, denn Algen werden erst seit ungefähr 65 Jahren industriell angebaut“, sagt Ullmann. In der Algenfarm in Klötze sind 16 Mitarbeiter beschäftigt. Es werde ein im einstelligen Millionenbereich liegender Umsatz erzielt. Ullmann erwartet ein weiter steigendes Wachstum. „Wir spüren deutlich das gestiegene Interesse der Kunden.“

Zu ihnen gehört der Hersteller von Smoothies, True Fruits. Die in Klötze kultivierte Chlorella-Alge ist Bestandteil eines grünen Smoothies des Bonner Unternehmens. Die Alge gehöre zu den „Superfoods“ und habe einen Proteinanteil von rund 60 Prozent, lobt True Fruits. Im Rindfleisch betrage er nur 32 und in Soja 35 Prozent.

In Klötze verläuft das Wachstum der Algen sehr rasch; bereits nach einer Woche kann geerntet werden. „Die entnommene Algenkultur wird separiert und sprühgetrocknet. Das grüne Pulver aus dieser Trocknung ist schon unser Rohprodukt“, erklärt Ullmann. Die Chlorella-Alge ist eine sehr gefragte Algenart, da sie nicht nur proteinreich ist, sondern auch entgiftend wirken soll und eine Fülle von Vitalstoffen enthält. Roquette verkauft sie in Form von Pulver – 350 Gramm kosten 56 Euro – und Tabletten. Angeboten werden auch Knusperbrot, Nudeln und Vitalschnitten.

Aus Algen werden nach einer Algenmarktanalyse der Berliner Algen-Parks Aktiengesellschaft (Alpag) aus dem Jahr 2013 vor allem Nahrungsergänzungsmittel, andere Lebensmittel, Futter und Kosmetika hergestellt. In diesen Segmenten würden global etwa 35000 Tonnen Mikroalgen-Trockenmasse verarbeitet.

Als Inhaltsstoff in kosmetischen Produkten, beispielsweise als Maske, wirkt die Alge feuchtigkeitsspendend. Zudem können die Pigmente der Alge eine umweltfreundliche Alternative zur Tinte sein, da sie biologisch besser abbaubar sind. Biochemiker vermuten außerdem, dass Mikroalgen biologisch wirksame Substanzen produzieren, die Wirkstoffe enthalten, die Bakterien, Viren oder Pilze abtöten. Bekannt sind Substanzen, die das Wachstum von Krebszellen hemmen.

Ein weiterer Kunde der Algenfarm ist das 2015 gegründete Unternehmen von Anneliese Niederl-Schmidinger, die Evasis Edibles GmbH aus Berndorf in Österreich. Die Verfahrenstechnikerin hatte zuvor selbst Algen gezüchtet, zur Herstellung von Biodiesel. „Ich habe schnell gemerkt, welche wertvollen Inhaltsstoffe Algen besitzen“, sagt die Unternehmerin. Ihre vegane Limonade mit dem Namen Helga besitzt einen Algenanteil von 0,3 Prozent. Auf der Anuga, der weltgrößten Ernährungsmesse in Köln, wurde sie zu einer der Topinnovationen 2015 gewählt. Mit 250 Milliliter Limonade könne ein Viertel des Tagesbedarfs an Vitamin B12 gedeckt werden, sagt Niederl-Schmidinger. Eine Limo kostet 2,59 Euro.

Dass ein Lebensmittel Alge enthält, ist allerdings nicht immer erkennbar. So fungiert die Alge als natürlicher Farbstoff in blauen Gummibärchen und Smarties. „Schon heute steckt in ungefähr 70 Prozent aller Lebensmittel Alge, meist als Gelier- und Bindemittel, Stabilisator und Verdickungsmittel“, erklärt Ullmann.

Nach der Studie „Wie is(s)t Deutschland 2030?“ des Schweizer Lebensmittelkonzerns Nestlé von 2015 wird die Alge in der Zukunft ein fester Nahrungsbestandteil sein, weil sie eine ressourcenschonende Ernährung ermöglicht. Gerade angesichts der wachsenden Weltbevölkerung könnte sie an Bedeutung gewinnen. „Algen können in Gegenden angebaut werden, in denen man keine normale Landwirtschaft betreiben kann“, erläutert Ullmann. Nach Ansicht des Forschungsnetzwerks Term (Technologien zur Erschließung der Ressource Mikroalge) könnten Mikroalgen durch die Entwicklung eines Photobioreaktors, der praktisch ohne Hilfsenergie auskommt, in fünf bis zehn Jahren auf großen Flächen kultiviert werden.

 
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