Die in Äpfeln vorhandenen Polyphenole sollen sich als Bioaktivstoffe positiv auf das menschliche Immunsystem auswirken. So steht es in dem Buch „Paradiesapfel und Pastorenbirne“ von Erika Schermaul. „Dank ihres hohen Pektingehalts und der enthaltenen Gerbstoffe sind sie entzündungshemmend und sorgen für eine gute Verdauung.“ Besonders hoch ist die Konzentration von Polyphenolen in alten Apfelsorten, wie sie vor allem auf Streuobstwiesen noch vorkommen. Wegen des Plantagenanbaus für Supermärkte gibt es eine immer geringere Sortenvielfalt, was auch für die Obstzüchtung zu einem Problem werden kann.
Nach Angaben der Sortenerhaltungszentrale in Baden-Württemberg, die sich am Bodensee befindet, ist es wichtig, einen Genpool von alten Apfelsorten zu haben, die eine natürliche Widerstandskraft gegen Krankheiten besitzen und sich gut an Boden und Witterung anpassen. Auch für die rund 2 Millionen Apfel-Allergiker in Deutschland ist dies bedeutsam, denn sie haben seltener Probleme mit alten Sorten wie dem Roten Boskoop oder der Goldparmäne. Das zeigt auch eine Studie zur Verträglichkeit von Apfelsorten, die 2016 unter anderen von der Berliner Charité durchgeführt worden ist.
Nach Angaben des Landesverbands Baden-Württemberg im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) liegen fast 50 Prozent der deutschen Streuobstwiesen, die insgesamt rund 400000 Hektar umfassen, in Baden-Württemberg. Im Landkreis Ludwigsburg zum Beispiel stehen 400000 Obstbäume. Das ist ein Ergebnis der ärmlichen und kleinbäuerlichen Lebensbedingungen in früheren Zeiten. Streuobstwiesen boten damals eine Grundversorgung durch eine doppelte Nutzung der Fläche: dem Anbau am Boden als Ackerfläche und dem Obstertrag der verschiedenen Hochstämme. Mit der besseren wirtschaftlichen Lage sanken das Interesse am Selbstversorgungsanbau und die Fläche der Streuobstwiesen.
Dabei stellen sie ein wichtiges Kulturgut dar: Manche empfinden beim Anblick blühender Streuobstwiesen im Frühjahr regelrecht Heimatgefühle. Der Landschaftserhaltungsverband des Landkreises Ludwigsburg und der BUND versuchen, diese Kulturlandschaft zu bewahren: mittels Wiesenpatenschaften und einer Streuobstbörse, die Käufer, Pächter, Dienstleister und Bewirtschafter zusammenbringt. Erhalten werden soll einer der artenreichsten Lebensräume Mitteleuropas mit etwa 5000 Tier- und Pflanzenarten.
Nach Angaben des BUND sind 10 Prozent des in Baden-Württemberg hergestellten Apfelsafts Direktsaft. Auch die Kumpf Fruchtsaft GmbH & Co. KG in Markgröningen im Kreis Ludwigsburg produziert Direktsaft. „Als Traditionsunternehmen in der vierten Generation seit 1898 sind wir stolz, das älteste Fruchtsaftunternehmen Deutschlands mit dieser langjährigen Erfahrung zu sein“, sagt der Geschäftsführer Albrecht Kumpf. Gründer Ernst Kumpf wendete das von Louis Pasteur 1866 entwickelte Verfahren an, in dem der Apfelsaft durch schonendes Erhitzen auf 85 Grad haltbar gemacht wird. „Bei mehr als achtzig eigenen Obstsammelstellen und weiteren hundert Sammelstellen in Zusammenarbeit mit den Raiffeisengesellschaften können die regional gewachsenen Äpfel angeliefert werden, und im Tausch dafür erhält der Streuobstwiesenbesitzer einen Saftanspruch, der für 100 Kilogramm Streuobst bei 60 Litern liegt“, erklärt Kumpf. „Dadurch beträgt die Ersparnis rund 25 bis 30 Euro je Doppelzentner.“ Am Tag können 800 Tonnen Obst verarbeitet und bis zu 100000 Liter abgefüllt werden.
„Das Erhalten der Streuobstwiesen ist ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensphilosophie“, sagt Kumpf. Mit sieben Horizontalpressen verarbeitet man während einer Keltersaison bis zu 60000 Tonnen Streuobst. Gewährleistet wird auch die Rückverfolgbarkeit von der Sammelstelle bis zur Abfüllung in die Flasche. Unter www.saft-mit-herkunft.de kann man anhand der Chargennummer nachverfolgen, aus welchem Gebiet die gepressten Äpfel stammen. Kumpf beteiligt sich zudem mit einer mobilen Saftpresse am Projekt www.stutengarten.de, einer jährlich stattfindenden Kinderspielstadt in Stuttgart, um der nächsten Generation die Wichtigkeit der Streuobstwiesen näherzubringen und ihr den Weg vom Apfel bis zum Saft zu erklären.
Mit rund 60 Mitarbeitern, einem jährlichen Absatz von etwa 20 Millionen Füllungen und einem Umsatz von rund 20 Millionen Euro gehört Kumpf nach eigenen Angaben zu den größeren Fruchtsaftherstellern Baden-Württembergs. Man hat Gabelstapler, die mit Strom aus der eigenen Photovoltaikanlage fahren, und ein Brauchwassersystem. Nach Zahlen der Fruchtsaftindustrie sind die Deutschen mit 33 Liter je Kopf Weltmeister im Fruchtsaftverbrauch, davon sind 7,9 Liter Apfelsaft. In anderen Ländern steht der Orangensaft an der Spitze.
Um Streuobstwiesen zu erhalten, gibt es in Baden-Württemberg verschiedene Programme. Sie fördern zum Beispiel den richtigen Schnitt der Streuobstbäume, was den Ertrag und die Lebensdauer erhöht. Sie helfen beim Kauf von Wiesengrundstücken und der Neubepflanzung. Erzeuger bekommen für das angelieferte, nicht mit Pestiziden gespritzte Streuobst einen höheren Preis. Verbraucher zahlen dann zum Beispiel 10 Cent je Liter mehr für den getrennt erfassten Streuobstsaft.
In einem Vortrag des Vereins Schwäbisches Streuobstparadies aus Bad Urach betont die Geschäftsführerin Maria Schropp, dass vor allem die jüngere Generation für den Erhalt der Streuobstwiesen sensibilisiert werden müsse. Das jahrzehntelang erworbene Wissen müsse an die nachkommenden Generationen weitergegeben werden, beispielsweise mit Hilfe von Schnittkursen.
Ein Wiesenbesitzer sagt: „Man arbeitet gerne an der frischen Luft und tut so etwas für die Gesundheit.“ Große ökonomische Vorteile sieht er aber nicht. „Früher nahm man den Saftanspruch im Sechs-Personen-Haushalt in Anspruch, heute gehen meine Frau und ich für die ganze Arbeit einmal im Jahr essen.“