Spannende Inhalte finden

Die Sicherheit hängt an den Seilen

Dank einer neuen Technik wird der Riss eines Gondelseils unwahrscheinlicher

F.A.Z.

7.01.2016

Matthias Duve

Tannenbusch-Gymnasium, Bonn

Eine Fahrt mit der Seilbahn bietet grandiose Ausblicke. Gemächlich und fast lautlos schwingt sich die Gondel in luftige Höhen empor. Gezogen wird sie von Stahlseilen. In Deutschland gibt es nach Angaben des Verbands Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte knapp 170 Seilschwebebahnen und rund 1600 Schlepplifte. Sie befördern jährlich etwa 10 Millionen Gäste. Viele Kilometer Seil müssen aus Sicherheitsgründen regelmäßig kontrolliert werden. Die Seile laufen über Rollen und werden durch Scheiben umgelenkt. Dabei wird das Seil durch Zug, Biegung und minimale Verdrehungen beansprucht und nach und nach verschlissen. Dieser Prozess muss engmaschig überwacht werden.

In Deutschland schreiben Vorschriften der Bundesländer eine monatliche Sichtprüfung und für Tragseile ein vierteljährliches Prüfintervall vor. „Die visuelle Seilkontrolle, also das Beobachten des vorbeilaufenden Seils, ist eine wichtige Methode, um Seilfehler und Schäden möglichst früh zu erkennen“, erklärt Holger Kähler, ein für die Unfallprävention in Seilbahnbetrieben zuständiger Fachmann der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG). „Die Seilkontrolle wird von mindestens zwei Beschäftigten des Seilbahnbetreibers entweder auf der Gondel oder in der Stationskonstruktion durchgeführt.“ Die Prüfer versuchten, an dem mit einer Geschwindigkeit von weniger als 0,5 Metern je Sekunde und in handnaher Distanz vorbeilaufenden Seil mit bloßem Auge zuverlässig Schäden und Anzeichen für Verschleiß wie Risse, Knicke, Umbrüche und Verschmelzungen der Drahtlitzen zu entdecken.

Man könne sich vorstellen, welche Konzentration dies bei einer Seillänge von einigen hundert bis mehreren tausend Metern verlange, sagt Kähler. „Und dies stets in dem Bewusstsein, dass nicht erkannte Fehler gravierende Folgen haben können.“ Die VBG berate die Seilbahnbetriebe, wie Eigengefährdungen durch die Nähe zum bewegten Seil vermieden und körperliche Zwangshaltungen durch das gekrümmte Sitzen reduziert werden könnten. Auch oftmals schlechte Lichtverhältnisse sowie Kälte, Regen und Wind machten den Seilprüfern zu schaffen.

Die Winspect GmbH, eine Tochtergesellschaft der Automation W+R GmbH mit Sitz in München, hat über fünf Jahre mit dem Institut für Fördertechnik und Logistik der Universität Stuttgart ein teilautomatisiertes optisches Prüfgerät entwickelt und damit die visuelle Kontrolle von Seilen stark vereinfacht. „Unser Seilprüfgerät wird in eine an der Seilbahn einmalig zu installierende Vorrichtung eingehängt“, erläutert Richard Söhnchen, Geschäftsführer der Winspect GmbH. „Bei Zugseilen wird das vorbeilaufende Seil mit vier kreisförmig um das Seil angeordneten Kameras aus allen Blickwinkeln aufgezeichnet.“ Der Seilumfang sei dabei in vier Bereiche unterteilt, die mit je einer Zeilenkamera erfasst und digital gespeichert werden. „Wir erreichen durch die sich überschneidenden Blickwinkel eine sichere Beurteilung aller sichtbaren Außendrähte.“ Bei fest installierten Tragseilen, die zum Beispiel die einzelnen Stützen einer Seilbahn miteinander verbänden, werde Winspect an einem Fahrwagen, der über das Tragseil gleite, befestigt.

Auf die Frage, wie das System Auffälligkeiten erkennen und markieren könne, erklärt Söhnchen: „Ein Computer kann nur erkennen, was ihm einprogrammiert wurde. Daher müsste man eigentlich alle denkbaren Fehler in das System eingeben, damit sie erkannt werden.“ Winspect gehe umgekehrt vor: Die Software „wisse“, wie ein ordnungsgemäßes, technisch perfektes Seil auszusehen habe, und zeige alle entdeckten Abweichungen vom Optimalzustand an. Ein großer Vorteil des Systems sei, dass es den weitaus größten Teil des Seils als „in Ordnung“ auszusondern vermöge. Winspect ist mit einer Aufnahmegeschwindigkeit von 3 Metern je Sekunde zudem sechsmal schneller als das menschliche Auge.

Auch die VBG betrachtet die neue Technik als richtungsweisend. Der Prüfer könne sich eingehend und sorgfältig auf die vom System erkannten Auffälligkeiten konzentrieren und diese bewerten. „Es werden mehr Fehler als bei der herkömmlichen Seilprüfung gefunden. Die Prüfung ist reproduzierbar und zuverlässig, die Ergebnisse werden dokumentiert“, sagt Holger Kähler von der VBG. Alfred Spötzl, Technischer Leiter der Nebelhornbahn in Oberstdorf, überzeugt vor allem die Flexibilität der neuen Technik. „Wir können Standbilder heranziehen, beliebig den Vor- und Rücklauf nutzen sowie zur genauen Betrachtung eine Zoomfunktion einsetzen; vor allem aber können wir die Bilddaten auf Festplatte speichern und damit im Laufe der zahlreichen Kontrollen eine lückenlose Dokumentation über die verschiedenen Phasen eines Seillebens gewinnen.“

Birgit Priesnitz, Geschäftsführerin des Verbands Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte in München, ergänzt: „Auch wenn die Mitarbeiter noch so gewissenhaft arbeiten, bei der hohen Konzentrationsbeanspruchung ist es immer eine besondere Herausforderung, auftretende Fehler am Seil frühestmöglich zu erkennen. Hier sind technische Hilfen und moderne Prüfgeräte eine wertvolle Unterstützung.“ Priesnitz sagt aber auch: „Das automatisierte System kann und soll den menschlichen Prüfer nicht ersetzen, es soll ihm die Arbeit erleichtern und die Prüfergebnisse verbessern.“

Seit 25 Jahren konzentriert sich der Bildverarbeitungsspezialist Automation W+R GmbH, die Muttergesellschaft von Winspect, auf Anlagen zur Prüfung von Oberflächen. Im Unternehmensverbund sei die Zahl der Beschäftigten von 10 Mitarbeitern 2005 auf rund 100 Beschäftigte gewachsen. „Unser Spezialgebiet sind die Oberflächen von sicherheitskritischen Teilen, etwa Bremsscheiben und Motorteile in der Automobilindustrie“, erklärt Söhnchen, der auch Geschäftsführer von Automation W+R ist.

„Zwischen 30000 und 80000 Euro je Seilprüfgerät konnten wir in Verhandlungen mit unseren Kunden bisher erzielen“, sagt Söhnchen. „Wir setzen das Gerät nicht nur in Deutschland und Österreich ab, sondern haben auch eine amtliche Zulassung für die Schweiz.“ Auch nach China und Australien sei das Gerät schon verkauft worden. Derzeit seien mehr als dreißig Geräte im Einsatz. Optimistisch stimmt den Unternehmer, dass mit dem Boom des Skifahrens weitere Geschäftsfelder, zum Beispiel die Inspektion von Schleppliften, denkbar sind.

Weiterlesen

Weitere Artikel von Matthias Duve

Cookie Einstellungen