Denkt man an Klaviere und Konzertflügel, kommt einem zumeist nicht das Instrument selbst, sondern der Pianist in den Sinn: geübte Finger, feine Arbeit mit Tasten und Pedalen und schöne Melodien. Vielleicht erinnert man sich auch an das Erfolgsgefühl, als man ein schwieriges Stück zum ersten Mal selbst spielen konnte und der volle Ton den Raum erfüllte. Doch wie dieser entsteht, wie viel Arbeit notwendig ist, um ein Klavier herzustellen, daran denken die meisten nicht. „Die Wiege des Klaviers liegt in Deutschland“, erzählt Julius Feurich, Betriebsleiter der Seiler Pianofortefabrik GmbH mit Sitz in Kitzingen. 1849 von Eduard Seiler in Liegnitz gegründet, wuchs das niederschlesische Unternehmen rasch und wurde noch vor dem Ersten Weltkrieg der größte Klavierhersteller Ostdeutschlands.
Auf einem eigenen Flügel oder Klavier spielen zu können, konnte sich allerdings nicht jeder leisten. „Früher hatten viele Hersteller firmeneigene Konzertflügel auf Podien stehen. Es nahm daraufhin überhand, dass Pianisten diese Flügel kostenlos für Konzerte nutzen wollten“, erzählt Feurich. Die Hersteller legten deshalb fest, welche Pianisten von welchen Unternehmen unter Vertrag genommen wurden. So konnten die Musiker auf den Instrumenten ihres Vertragspartners kostenlos spielen; wer keinen Vertrag hatte, musste zahlen.
Zum Ende des Zweiten Weltkrieges musste die Familie Seiler zusammen mit der verbliebenen Belegschaft flüchten; das Unternehmen wurde schließlich im unterfränkischen Kitzingen neu aufgebaut. Im Jahr 2008 kam es dann jedoch aufgrund globaler Absatzschwierigkeiten zum Schock: „Wir mussten Insolvenz anmelden. Von über fünfzig Mitarbeitern schrumpfte unser Unternehmen auf gerade einmal zehn“, berichtet Feurich. Die Rettung kam aus dem Ausland: „Samick, ein koreanischer Hersteller von Musikinstrumenten, kaufte die Seiler-Gruppe, sicherte damit die Erhaltung unseres Unternehmens und garantierte eine gute Kapitalausstattung“, erzählt Feurich. Das Interesse des koreanischen Unternehmens, das zu den größten Klavierherstellern der Welt gehört, erklärt der Betriebsleiter auch damit, dass deutsche Klavierbauer als die besten der Welt gälten.
„Die ersten eineinhalb Jahre waren dennoch kritisch; man war sich anfangs nicht sicher, ob man nicht doch an einer Auslagerung der Fabrik ins Ausland oder sogar der Ausschlachtung des Betriebs interessiert war. Letzten Endes entschied sich Samick jedoch dafür, das Unternehmen weiterzuführen“, sagt Feurich. Samick lasse Seiler freie Hand. „Samick ist lediglich Gesellschafter, wir sind immer noch eine selbständige deutsche GmbH, die in erster Linie alle unternehmerischen Entscheidungen selbst trifft.“ Im vergangenen Jahr habe man rund eine Million Euro in neue Maschinen und produktionsspezifische Anlagen investiert, zum Beispiel in die Lackiererei, um die Oberflächentechnik zu verbessern. Seiler konnte auch seine Umsätze wieder steigern: „Im Vorjahr schafften wir es auf einen Umsatz von 4 Millionen Euro. Für 2017 ist ein Umsatz von bis zu 5 Millionen geplant“, sagt Feurich. Seiler beschäftigt 46 Mitarbeiter, darunter neun Klavierbauer-Azubis.
Seilers Marktposition wird auch durch mehrere Patente gefestigt. Eines der wichtigsten betreffe den „Seiler Ton-Volumen- Stabilisator“. Der dient dazu, den Resonanzboden vor und während der Verleimung auf die Raste vorzuspannen. „Ein weiteres Patent, das wir halten, ist die ,Super-Magnet- Repetition‘, die eine sehr viel bessere Repetition der Klaviermechanik ermöglicht, was wiederum ein schnelleres und genaueres Spiel des Instruments ermöglicht.“
Von welchem Hersteller man ein Klavier kaufen soll, ist nicht einfach zu entscheiden. Laut Thilo Wünsch, Inhaber von „Der Klavierladen“ in Lautertal, kommt es sehr auf den persönlichen Geschmack an. „Wenn ein Kunde mich fragt, wie ein Klavier einer bestimmten Marke klingt, sage ich ihm, dass er das gerne einmal ausprobieren kann.“ Ein Klavier müsse nicht nur voll oder rund klingen, es müsse viele verschiedene Färbungen spielen können. „Für ein Stück von Bach brauche ich einfach andere Qualitäten als für ein Stück von Beethoven.“ Mit Blick auf Seiler erkennt er kein Alleinstellungsmerkmal, was jedoch positiv sei. „Wäre Seiler vom Ton her massiv anders als Klaviere anderer Hersteller, dann wäre es für den Endkunden nicht interessant – schließlich wäre es dann nicht mehr spielbar.“
Auf dem Markt für Heimklaviere der Oberklasse findet der Kunde Instrumente von Steinway, Fazioli, Bechstein und Bösendorfer. Sucht man nach einem Mittelklasseklavier, findet man im oberen Bereich Seiler, Schimmel, Sauter und Grotrian-Steinweg. Auf dem Markt für Konzertflügel gehören Seiler- Instrumente zur Oberklasse. Nach Angaben des Bundesverbands Klavier e.V., in dem Deutschlands größte Klavierhersteller zusammengeschlossen sind, gehen sowohl der Export als auch der Import von Klavieren seit 2010 kontinuierlich zurück. Für Seiler ist der Export jedoch sehr wichtig. „Rund 70 Prozent unserer Flügel und Klaviere exportieren wir. Unser stärkster Markt ist China.“ Man liefert auch in andere ferne Länder wie Iran, Singapur und Australien.
Inzwischen setze man in Deutschland wieder stärker auf Qualität als auf einen günstigen Preis, sagt Feurich. Nach Zahlen des Bundesverbands Klavier stammten im vergangenen Jahr 51 Prozent der in Deutschland gekauften Flügel von deutschen Unternehmen. 2000 lag dieser Anteil erst bei 39 Prozent.
„Wir stellen im Jahr mehr als 500 Instrumente her, rund 450 Klaviere und 50 Flügel“, berichtet Feurich. Billig sind die Instrumente von Seiler nicht. „Der Preis für ein Klavier kann sich auf bis zu 20000 Euro belaufen, ein Konzertflügel, der nach eigenen Wünschen gefertigt wurde, kann bis zu 106000 Euro kosten.“ Die Herstellung ist aufwendig. In einem Klavier stecken mehrere tausend Teile, es wird zu 80 Prozent in Handarbeit gefertigt. „Wir arbeiten neun bis zwölf Monate an einem Flügel“, berichtet der Betriebsleiter.
Dabei ist das Fertigen eines Klaviers oder eines Flügels vor allem Hand- und Kopfarbeit. „Je nach Beschaffenheit des Holzes müssen individuelle Handgriffe getätigt werden, die eine Maschine nicht ausgleichen kann“, erklärt Feurich. Man benutze jedoch auch Fräsen und CNC-Maschinen. „Wir haben unsere Klaviere nicht nur in große Konzerthallen weltweit gebracht, sondern beispielsweise auch in den ,ZDF-Fernsehgarten. Selbst Peter Maffay hatte einen Seiler Showmaster auf seinen Tourneen dabei“, berichtet der Betriebsleiter.