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Bergbewohner haben eine lange Leitung

Wenige Tüftler stellen Alphörner noch ganz von Hand her. Inzwischen hat auch hier der Computer Einzug in die Produktion gehalten.

F.A.Z.

5.11.2015

Luise Böhm

Landgraf-Ludwigs-Gymnasium, Gießen

Es ist ein Instrument, auf dem Choralmusik, Volksmusik, Rock, Jazz, Klassik und populäre, zeitlose Lieder wie ,Amazing Grace‘ gespielt werden können“, sagt Ralf Lanzinger, der Sprecher des Alphornverbands Baden-Württemberg, des mit 260 Mitgliedern größten Verbandes seiner Art in Deutschland, über das Alphorn. Es sei kein altbackenes Heidi-Instrument, sondern ermögliche eine beeindruckende Vielfalt an Klängen. Auf die Frage, wer der Marktführer in der Branche der Alphornhersteller sei, zögert Lanzinger. „Die wohl am meisten etablierten sind Andreas Bader, nahe Stuttgart, und Alfons Neumann, nahe Biberach.“ Einen echten Marktführer gebe es aber nicht. „Die Alphornbauer gehen stark auf die Sonderwünsche der Käufer ein. Dies macht den Vergleich schwierig.“

„In Deutschland gibt es nur sechs Alphornbauer, die ihre Arbeit professionell betreiben“, sagt Hubert Hense, der einer dieser sechs Produzenten ist. „Vier davon stellen die Hörner mit Hilfe von CNC-Technik her, das heißt, die Herstellung ist computergesteuert. Außer mir gibt es noch einen Alphornbauer, der von sich sagt, die Alphörner per Hand zu fertigen.“ Lanzinger schätzt die Zahl der Alphornbauer auf 20 bis 30 – inklusive Hobbytüftler.

Der 61 Jahre alte Hense baute erst vor zehn Jahren sein erstes Alphorn. Zuvor war er Verlagskaufmann; doch seine Stelle sei wegrationalisiert worden. „Ich habe meinen feinen Anzug mit einem Blaumann gewechselt. Mit einem wunderbaren Erfolg.“ Hense stellt seine Hörner in einem kleinen Ort namens Anröchte zwischen Paderborn und Dortmund her. „Ich stamme aus einer Handwerkerfamilie“, erzählt er. Mit 14 Jahren fing er an, Blasinstrumente zu spielen, mit 30 Jahren verschrieb er sich der Drechslerei und Holzbildhauerei. Irgendwann reifte der Wunsch heran, ein Alphorn zu bauen. „Ich fand im Internet einen Bauplan, besorgte mir Materialien und werkelte mehr als 100 Stunden an meinem ersten Horn.“ Inzwischen baut Hense etwa 55 Alphörner im Jahr. Eines kostet zwischen 1400 und 4000 Euro. Er erwirtschaftet einen Jahresumsatz von 55000 bis 60000 Euro.

Das Alphorn ist ein Naturhorn, also ein Blasinstrument ohne Ventil, und wurde von Hirtenstämmen in Europa und Asien gespielt. Es diente der Verständigung. Historiker sind sich nicht sicher, wie alt das Alphorn ist, doch gibt es ein Wandbild im Dom zu Breisach, auf dem Alphornbläser abgebildet sind und das aus dem 15. Jahrhundert stammt. Im 17. Jahrhundert verarmten die Hirten und fingen an, durch Österreich, Deutschland, Polen und England zu ziehen. Das Alphorn wurde unter dem abwertenden Begriff Bettelhorn bekannt. Im 19. Jahrhundert kamen Touristen in die Schweiz. Nun feierte man das Alphorn als romantisches Instrument der Folklore. Heute findet man das Instrument vor allem im Allgäu und in der Schweiz.

Ein Alphorn besteht aus einem Mundrohr, dem langen Mittelrohr und einem Endrohr, das fest mit einem Becher verbunden ist. Seine Länge ist ausschlaggebend für den Klang. Üblicherweise ist es in Deutschland 3,60 Meter lang. Bei den Materialien gibt es große Unterschiede. „Nur ein Laie lässt sich in der Wahl des Holzes von der Ästhetik leiten“, sagt Hense. Ein Könner wähle nach musikalischem Geschmack aus. Während Fichtenholz harte Töne erzeuge, klinge Rot-Erle weicher. Ahorn- und Kirschbaumholz hätten den Vorteil, dass sich die Töne stärker nach oben und unten dehnen könnten. Für die Herstellung eines Horns braucht Hense je nach Härtegrad des Holzes bis zu 25 Stunden. Es könne auch gut 70 Stunden dauern, wenn er die Halbschale des Rohres mit Hammer und Beitel aushöhle.

Andreas Bader aus Grafenberg nahe Stuttgart stellt seine Hörner mit Hilfe des Computers her. Im Jahr produziert er 40 bis 45 Hörner. Die Rohre und der große Becher werden mit Hilfe der CNC-Technik aus zwei Halbschalen gefräst und dann von Hand geschliffen. Die Hörner werden mit Peddigschienen umwickelt und lackiert. Ein normales Horn kostet bei Bader 1800 bis 2500 Euro. Er produziert auch Einzelteile und Zubehör und erwirtschaftet nach eigenen Angaben einen Jahresumsatz von 120000 Euro.

Hense verkauft auch selbstentwickelte Naturhörner wie das „Hirtenhorn“, das lediglich 2 Meter lang ist, und das „Wanderhorn“, das sogar nur 1,30 Meter misst. Er beliefert ebenfalls Kunden im Ausland, zum Beispiel einen pensionierten Musiker der Militärkapelle des Weißen Hauses, der in Washington eine Alphornschule betreibt. Auch in Musikschulen in Südkorea und in Japan ertönen Henses Alphörner.

„Der Markt für Alphörner in Deutschland ist seit einigen Jahren gleichbleibend“, berichtet Bader. „In Deutschland wird stark nach dem Preis gekauft.“ In der Schweiz, wo er viele Kunden habe, werde hingegen mehr Wert auf Qualität gelegt.

Im Sommer organisierten Verbände und andere Organisationen Treffen von Alphornbläsern, erzählt Lanzinger. Die Zahl der Alphornbläser in Deutschland sei kaum zu bestimmen, sagt er. „Meine persönliche Einschätzung liegt bei rund 10000 mehr oder weniger aktiven Bläsern.“ Auf den Festivals spielt auch das Münchner Alphornkollektiv. Das Spielen eines Alphorns sei spontan, emotional und intuitiv, sagt seine Gründerin Roswitha Pross. „Alphörner erwecken Träume.“

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