In Deutschland werden jedes Jahr neuwertige Waren im Wert von 7 Milliarden Euro entsorgt. Das sagt die Gründerin und Geschäftsführerin der Innatura gGmbH aus Köln, Juliane Kronen. Rund ein Drittel sei fabrikneu und habe bloß kleine Mängel, wurde zum Beispiel falsch abgefüllt oder etikettiert. So landen einwandfreie Spielzeuge, Heimtextilien und Haushaltsgegenstände im Müll. Diese Verschwendung zu beenden, hat sich Kronen zur Aufgabe gemacht.
Sie arbeitete 16 Jahre in der Unternehmensberatungsgesellschaft The Boston Consulting Group, davon acht als Partnerin. Doch dann rief sie ein ehemaliger Kollege an und fragte, ob sie jemanden kenne, der 200000 Flaschen Shampoo sofort gebrauchen könne – neu, original, unentgeltlich, allerdings nicht zum Weiterverkauf. Die Flaschen waren falsch etikettiert worden und sollten in Kürze vernichtet werden, da die Kapazität zur Lagerung benötigt wurde. „Ich telefonierte mir die Finger wund, konnte aber leider auf die Schnelle keinen Abnehmer finden, sodass die neuwertigen Waren schließlich doch vernichtet wurden“, erzählt Kronen. Diese Begebenheit sei ein Schlüsselerlebnis gewesen: Sie habe erkannt, „wie vorteilhaft es für Mensch und Natur ist, wenn bereits vorhandene Waren vor der Vernichtung bewahrt und einem guten Zweck zugeführt werden“. Damit war die Idee für Innatura geboren.
Innatura ist nach eigenen Angaben die erste Plattform ihrer Art in Deutschland. In Kind Direct, eine Wohltätigkeitsorganisation in Großbritannien, die 1996 von Prinz Charles gegründet worden war, diente Kronen und zwei Kollegen, die Innatura 2011 mitgründeten, als Vorbild. Schon 2009 fing Kronen an zu planen. Non-Profit-Organisationen hätten es mit der Finanzierung nicht leicht, sagt sie.
„Innatura bietet die Schnittstelle zwischen Unternehmen, die überschüssige Waren spenden möchten, und gemeinnützigen Organisationen, die diese Produkte dringend benötigen“, erklärt Kronen. Innatura ist für die Einwerbung, Lagerung und Verteilung der Spenden zuständig. Die Spenderunternehmen würden aktiv angesprochen. Beiersdorf, Amazon, DM und Mustang seien Beispiele für kooperierende Unternehmen. „Waschmittel, Körperpflege, Bettwäsche, Spielzeug und Outdoor-Material sind die fünf Top-Artikel“, sagt Kronen.
Jede gemeinnützige Organisation könne Sachgüter bekommen. Ein gutes Drittel der Organisationen gehört zur Kinder- und Jugendhilfe, 20 Prozent der Einrichtungen arbeiten mit Flüchtlingen. Auch kleine soziale Einrichtungen sind auf die Spenden angewiesen. Das betont Elke Pfaffenberger, Geschäftsleiterin des Schumaneck Kinderhauses in Brühl: „In unseren Familiengruppen leben Kinder und Jugendliche von null bis zwanzig Jahren, und für jedes Alter gibt es nützliche Artikel zu einem sehr günstigen Preis“, berichtet sie. „Wir sparen in vielen Bereichen wie Waschmittel, Windeln, Körperpflegeprodukte und Spielsachen.“
Im Jahr 2015 wurden nach Kronens Angaben Produkte im Wert von 3 Millionen Euro eingeworben. Die Waren werden in Troisdorf gelagert, bis eine bei Innatura registrierte gemeinnützige Organisation Bedarf anmeldet. Die Organisation übernimmt die Kosten für die Lieferung; und sie muss laut Kronen eine Vermittlungsgebühr von 5 bis 25 Prozent des Warenwerts bezahlen. „Wir werden irgendwann einmal von der Vermittlungsgebühr leben, aber momentan machen wir noch Verluste“, berichtet Kronen. 1200 Empfängerorganisationen sind registriert, 500 Organisationen bestellen regelmäßig.
„Unternehmen können einen Beitrag für ihre Corporate Social Responsibility leisten, kriegen Arbeit abgenommen und können sich auf das Spenden konzentrieren“, wirbt Kronen für ihr Konzept. Die Produkte gelangten in die ganze Welt. So helfen 6000 Sonnenbrillen, die Innatura an die Kleine Hilfsaktion e.V. vermittelt hat, Menschen in Kambodscha, sich vor dem Grauen Star zu schützen.
Kronen bemängelt die steuerliche Handhabung von Sachspenden: Als Entnahme müssen sie wie ein Umsatz versteuert werden. Deshalb sei es für die Unternehmen teurer, die Waren zu spenden, als sie zu vernichten. Annekathrin Wernsdorf, Steuerfachfrau des Deutschen Steuerberaterverbands, bestätigt: „Grundsätzlich unterliegt eine Sachspende als sogenannte unentgeltliche Wertabgabe der Umsatzsteuer. Eine Ausnahmeregelung besteht lediglich für gespendete Lebensmittel kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums oder der Verkaufsfähigkeit als Frischware.“ Es gebe dagegen für Sachspenden wie Kleidung und Kosmetikartikel keine Ausnahmeregelung. „Eine Gesetzesinitiative könnte hier die notwendige Klarheit schaffen.“
Steuerlich nehme man in Kauf, dass das Spenden teurer sei, als die Ware zu vernichten, sagt Manuela Rousseau, Leiterin Corporate Social Responsibility der Beiersdorf AG. Vor Innatura habe es keine Alternative zur Vernichtung von Produkten gegeben.