In Deutschland landen nach einer Studie der Umweltorganisation WWF von 2015 jedes Jahr 18 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Dies sei ein Drittel des Nahrungsmittelverbrauchs. Um die Verschwendung zu vermeiden, gibt es etliche Initiativen von Verbrauchern, Vereinen und des Handels. Nach Angaben der Sprecherin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), Stefanie Heckel, überlegen inzwischen auch Gastronomen, wie sie die Verschwendung verringern können – und verlangen eine Gebühr auf Essensreste.
Vorreiter ist nach eigenen Angaben Guoyu Luan, der 2014 in Stuttgart das Restaurant „Yuoki“ eröffnete. Vorher hatte er ein Buffet-Restaurant geleitet. In Lokalen mit „All you can eat“-Buffets fallen besonders viele Reste an. Manche Gäste hätten sich die Teller so vollgeschaufelt, als drohe eine Hungerkatastrophe, erzählt Luan. Auch die in Nordamerika üblichen Doggybags zum Mitnehmen der Reste brächten nichts. Sie böten sogar einen falschen Anreiz, da viele Gäste dann so viel „aufschaufeln, um zu Hause noch weitere Familienmitglieder zu verköstigen“.
Luan hat im Yuoki eine Strafgebühr von einem Euro für übrig gebliebenes Essen eingeführt. „Ich komme aus einer nicht so reichen Familie. Wir sind sehr sparsam mit Lebensmitteln umgegangen.“ Es heiße doch „All you can eat“ und nicht „All you can wegschmeißen“. Durch die Geldstrafe möchte er seine Gäste zum Aufessen bewegen, „denn früher landeten in meinem Restaurant jeden Abend 6 bis 7 Prozent der Speisen in der Tonne“. Inzwischen seien es nur noch etwa eineinhalb Kilogramm, und das bei etwa 140 Gästen.
Das Essen ordern die Gäste per iPad entweder von der normalen Karte oder nach dem Prinzip „Taste 120“, einem All-you-can-eat-Angebot der etwas anderen Art. Die Speisen werden nicht in Warmhaltebehältern angeboten, sondern qualitativ hochwertige Lebensmittel wie Thunfisch, Garnelen und Rinderfilet werden frisch zubereitet. Der Pauschalpreis beträgt 25 Euro, mittags 13 Euro. Nur wenn wenig Ware entsorgt werden müsse, könne das Restaurant mit diesen Preisen kalkulieren, sagt Luan.
Wer etwas übrig lässt, muss einen Euro bezahlen. Durchschnittlich kämen so 60 bis 100 Euro im Monat zusammen. Mittlerweile komme die Gebühr sogar gut bei den Kunden an, sagt Luan. Ihnen gefalle sein Kampf gegen Essensverschwendung. Am Anfang war das freilich anders. Erst als er ihnen erklärt habe, dass das Geld nicht in seiner Tasche lande, sondern an eine Wohltätigkeitsorganisation gespendet werde, hätten die Kunden die Gebühr akzeptiert. „Wir spenden die Strafgebühr an Tafeln und die Kirche.“
Das Yuoki ist längst nicht mehr das einzige Restaurant, das eine Gebühr für Essensreste nimmt, wie Dehoga-Sprecherin Heckel berichtet. Das täten hauptsächlich asiatische Restaurants mit All-you-can-eat-Buffets. Die in Köln und Düsseldorf ansässige Restaurantkette „Okinii“ habe ähnliche Regeln wie das Yuoki. Auf der Internetseite heißt es: „Bitte bestellen Sie nur so viel, wie Sie verzehren können.“ Für Reste zahlen Gäste zum Beispiel für Sushi einen Euro je Stück. Das „Himalaya“ im sauerländischen Menden, das „Phönix“ in Paderborn und das „Yangtse“ in Hürth verlangen eine Extragebühr von 2 Euro für Reste ab 100 Gramm je Teller. Rechtens sei der Aufpreis für Essensreste nur, wenn der Gast darauf hingewiesen werde, erklärt Heckel. Und nur für den Fall, dass es sich um ein Buffetangebot handele. Bei Kartengerichten habe der Gast keinen Einfluss auf die Menge. Zur Vermeidung der Essensverschwendung gehört nach Dehoga-Angaben auch, dass immer mehr Gastronomen unterschiedliche Portionen anbieten.
Ein besonderes Konzept gegen die Verschwendung von Lebensmitteln hatte sich ein junges Berliner Sozialunternehmen ausgedacht, die Eat-up GmbH. Sie entwickelte 2016 die Meal-Saver-App, um Gastronomie und Verbraucher zusammenzubringen: Restaurants, Bäckereien und Cafés stellen etwa eine Stunde vor Ladenschluss überschüssiges Essen zu einem wesentlich vergünstigten Preis in die App ein. In vielen Fällen betrage die Ersparnis zum Normalpreis weit mehr als 50 Prozent. Die Gefahr, dass die Gastronomen durch die App Kunden verlieren könnten, sah die Gründerin Mai Goth Olesen nicht: Viele Gastronomen sähen das Angebot eher als eine Möglichkeit, mehr Kunden auf sich aufmerksam zu machen.
Gut 320 Restaurantpartner in ganz Deutschland kooperierten mit den Meal-Savern, als das Unternehmen im Sommer von dem deutlich größeren finnischen Resq Club aus Helsinki gekauft wurde. Während 40000 Nutzer die Meal-Saver-App heruntergeladen hatten, waren es bei Resq Club dreimal so viele. Rund fünfzig Mitarbeiter arbeiten in dem fusionierten Unternehmen – 15 kamen von Meal-Saver. Inzwischen gibt es nur noch eine App; sie heißt „ResQClub“. In Deutschland ist das Angebot derzeit nur in Berlin verfügbar. Gemeinsam habe man schon mehr als 400000 Portionen gerettet, heißt es von Resq Club.
Auch der Berliner Verein „Restlos Glücklich“, der 2016 ein gleichnamiges Restaurant eröffnete, bekämpft die Verschwendung von Lebensmitteln. Die Initiatoren Anette Keuchel und Leoni Beckmann haben nach eigenen Angaben das erste Non-Profit-Restaurant in Deutschland gegründet, das fast ausschließlich gerettete Lebensmittel verarbeitet. Nun macht das Lokal eine „kreative Winterpause“, wie der Verein gerade mitgeteilt hat. Man hatte in den vergangenen Monaten viel zu verkraften. Im Sommer verstarb der Koch, der früher in einem Sternerestaurant gearbeitet hatte. Dann musste man aus den angemieteten Räumen raus und betrieb ein Pop-up-Restaurant in Neukölln. „Nun sind wir auf der Suche nach einem neuen Ort – und hoffen, bald einen zu finden“, sagt die Pressesprecherin des Vereins, Nina Petersen. Weil man weit überwiegend ehrenamtlich arbeite, könne man das Restaurant nur höchstens vier Tage in der Woche öffnen, müsse also Räume finden, die man mit anderen teilen könne. Das sei nicht einfach.
Das Restaurant lief gut. Die Gäste kamen aus ganz Deutschland und allen Schichten. Die Auslastung betrug mittwochs und donnerstags etwa 60 Prozent, freitags und samstags 95 Prozent. Das Drei-Gänge-Menü am Wochenende kostete 22 Euro. Der Anteil der zugekauften Lebensmittel belief sich auf 15 Prozent.
Die Lebensmittel bekam man von Supermärkten, dem Großhandel und kleineren Produzenten, größtenteils aus der Biobranche. Krummes Gemüse, Zutaten mit Dellen oder braunen Stellen oder nicht mehr ganz frische Salate – alles wurde genommen. Insgesamt waren es sechs bis acht Kisten am Tag. Die Waren konnten unbedenklich zu leckeren Menüs verarbeitet werden. Mit ein paar Tricks konnte beispielsweise müdes Gemüse wieder in Form gebracht werden: Salate und Mangold bekamen ein Wasserbad; bei anderen Sorten reichte ein Sparschäler.
Die Gerichte bestanden zu 95 Prozent aus geretteten Lebensmitteln. Der Koch wusste vorher nicht, welche er bekam. Das war eine Herausforderung. So wurden aus kistenweise Ingwer und Avocados gegrillte Avocados und Salate mit Ingwer-Dressing. Was im Lokal übrig blieb, wurde als Marmelade, Chutney oder Brotaufstrich haltbar gemacht oder an soziale Einrichtungen weitergegeben. Es fielen aber fast keine Abfälle an, berichtet Geschäftsführerin Beckmann.
Wichtig sind dem Team von „Restlos Glücklich“ auch Aufklärung und Information, deshalb bietet man Kochkurse an, auch für Kinder und Jugendliche. Man will das Bewusstsein für den Wert von Lebensmitteln schärfen. „Wir haben das, was unsere Großeltern noch so gut konnten, nämlich aus den Resten und überschüssigen Lebensmitteln schmackhafte Gerichte zu kochen, so gut wie verlernt“, sagt Beckmann.